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Wenn Leidenschaft zum Zwang wird

erstellt am 26.09.2025 00:00:00

„Wenn die Menschen deine Leidenschaft nicht kennen, dann hast du keine. Sei leidenschaftlich!“ Diese Sätze habe ich zum ersten Mal als Kind gehört. Sie verfolgen mich bis heute. 

Denn Leidenschaft gilt als Schlüssel zu einem erfüllten, erfolgreichen Leben.

Ich soll für meine Aufgaben brennen und mich ständig verbessern. Auf Social Media sehe ich glückliche Influencerinnen, die ihren Tagesablauf perfektioniert haben. In jeder zweiten Stellenanzeige wird gefragt: Brennst du leidenschaftlich für das, was du tust?

Selbst in der Gemeinde bekomme ich fast jede Wochen einen Auftrag mit wie: „Bleib dran! Intensiviere deine Beziehung zu Gott. Dein Gebetsleben. Deine Bibelleseroutine.“

Warum mich das müde macht

Für mich fühlt sich das vor allem anstrengend an. Denn oft fühle ich nichts von dieser Leidenschaft. 

Natürlich will ich ein verantwortungsvoller, sozialverträglicher Mensch sein – im Beruf, in meiner Familie, in meiner Beziehung zu Gott. Ich will mich weiterentwickeln, Fehler erkennen und aus ihnen lernen. 

Aber warum muss das alles auf der Überholspur passieren? Warum muss ich ständig für alles brennen? Und warum ist es verdächtig, wenn ich mein Mittagessen einfach nur koche oder meine E-Mails pragmatisch abarbeite? 

Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Ich bewundere Menschen, die andere in ihrer Begeisterung mitreißen und vor Energie und Tatendrang überströmen. Und bei manchen Tätigkeiten bin ich auch leidenschaftlich dabei. Doch kann dies die generelle Messlatte für den Alltag sein? 

Wenn Leidenschaft zum Imperativ wird, verliert sie ihre positive Kraft und endet in Perfektionismus.

Der Leidenschaftszwang

Vor kurzem habe ich bei dem Juristen und Autor Volker Kitz eine erfrischend andere Perspektive entdeckt. Er rät in einem Onlineartikel zur Gelassenheit und verurteilt den „Leidenschaftszwang“: „Wir tun so, als wäre Leidenschaft der Normal- und Idealfall zugleich. Wer seine Arbeit nicht mit an Besinnungslosigkeit grenzender Hingabe verrichtet, gilt als suspekt.“ 

Kitz meint: Leidenschaft verbessert nicht automatisch die Qualität unserer Arbeit. Im Gegenteil – eine gewisse Distanz kann sogar helfen, besser zu sein.

Dieser Gedanke war für mich eine echte Entlastung. Denn ich brenne nicht ständig für alles, was ich tue. Vieles tue ich schlicht, weil es zu meinem Alltag gehört. Und das ist okay.

Biblische Perspektive: Sinn vor Leidenschaft

Auch die Bibel erhebt Leidenschaft nicht zum höchsten Ideal. Sie ist oft Typsache oder hängt von unserer persönlichen Lebenssituation ab: Petrus war von Natur aus begeisterungsfähig, aber auch impulsiv (vgl. Matthäus 14,28–31). Und König David tanzte voller Leidenschaft vor der Bundeslade, aber seine Frau schämte sich dafür (vgl. 2. Samuel 6,14-20). 

Viele andere biblische Figuren wirken auf mich beim Lesen der Bibel hingegen alles andere als enthusiastisch. Der Prophet Jeremia fühlte sich seiner Aufgabe nicht gewachsen und litt darunter, immer nur schlechte Nachrichten überbringen zu müssen (vgl. Jeremia 20,7–9). Jona rannte weg, weil er Ninive nicht den Untergang verkünden wollte. Dennoch hat Gott durch die beiden gesprochen. Auch Jesus hat die Menschen um ihn herum zwar leidenschaftlich geliebt, doch am Kreuz zu sterben war für ihn ein Gehorsamsschritt gegenüber seinem Vater.

Manche Leidenschaft kann auch genau das Falsche bewirken: Saulus – später Paulus – verfolgte Christen vor seiner Hinwendung zu Jesus mit fanatischer Hingabe (vgl. Apostelgeschichte 8,3). Und Elia landete nach seinem größten Erfolg im Burnout (vgl. 1. Könige 19,4).

Diese Beispiele zeigen: Leidenschaft kann antreiben – sie kann aber auch fehlgeleitet sein oder unsere Kräfte über Gebühr strapazieren. 

Sinn vor Leidenschaft

Was aber motiviert mich, wenn es nicht die Leidenschaft ist? 

Ich bin überzeugt: Die Sinnhaftigkeit meines Tuns ist viel wichtiger als das Gefühl, das ich dabei habe. 

Ich kann Fenster putzen ohne Begeisterung – und trotzdem zufrieden sein, wenn ich wieder hindurchschauen kann. Oder mich durch trockene Zahlen kämpfen, weil das Projekt es wert ist.

Paulus fasst das so zusammen: „Darum, meine lieben Freundinnen und Freunde, bleibt fest und beständig, tut immer eifrig das, was wichtig ist! Denn ihr wisst ja: Euer Einsatz ist nicht vergeblich“ (1. Korinther 15,58).

Er macht klar: Ich darf arbeiten, auch wenn es sich gerade nicht besonders „erfüllt“ anfühlt. Ich darf mein Kind ins Bett bringen, auch wenn es mich gerade nervt. Ich darf beten, auch wenn ich nichts spüre.

Ein Plädoyer für entspannte Treue

Leidenschaft ist etwas Großartiges, aber sie ist nicht das Maß aller Dinge. Und ich muss mich nicht ständig fragen, was bei mir falsch läuft, wenn das innere Feuer auf Sparflamme lodert. Schließlich bin ich kein Vulkan, der unbegrenzt Feuer spucken kann – eher ein kleines Lagerfeuer, dem auch mal das Brennmaterial ausgeht. 

Ist das zu nüchtern? Bleibe ich damit unter meinen Möglichkeiten? Ich empfinde das nicht so. Im Gegenteil: Es entlastet mich. Denn mit dieser Sichtweise nehme ich mir nicht die Möglichkeit, leidenschaftlich zu sein, aber ich mache sie nicht mehr zur Voraussetzung. Ich darf in vielen Bereichen auch „ganz normal“ leben. Und wenn ich dann etwas entdecke, wofür ich leidenschaftlich brenne, genieße ich es umso mehr. 

Theresa Folger


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Quelle: Wenn Leidenschaft zum Zwang wird

von youthweb

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