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Ich sitze da mit einem Kloß im Hals. Ich könnte weinen oder auch schreien, auf etwas einschlagen oder mich in die hinterste Ecke verziehen. Wieder ist ein Traum geplatzt. Wieder bin ich gescheitert. Wenn man im Leben ein gewisses Alter erreicht, hat man mehr ungerade Linien vorzuweisen als gerade. Irgendwie wundert es mich schon kaum mehr, wenn etwas nicht klappt.
Lustigerweise habe ich bislang trotz Umwegen meist mein „Ziel“ erreicht. Nachdem es mit den ersten Bewerbungen auf meinen Traumjob nichts wurde, fand ich eine Stelle ganz in der Nähe meiner Freunde und Familie. Im Nachhinein ein echter Segen! Und mein Wunsch, als Lektorin zu arbeiten, verwirklichte sich quasi zufällig, als ich neben meinem Hauptjob eine neue Herausforderung suchte. Auch meine Partnersuche war zwar lang, aber bei meinem Mann war ich mir schon nach einem halben Jahr sicher: Ihn möchte ich heiraten.
Im Rückblick kann ich viele Umwege als geführt bewerten, doch das hilft mir im ersten Moment nichts, wenn das Leben mir mal wieder Steine in den Weg legt.
Gerade in den letzten Jahren waren es erstaunlich viele. Aus manchen ließ sich Nützliches bauen, andere musste ich mühsam aus dem Weg räumen. Und mit Anfang 40 tut sich nicht nur mein Rücken damit zunehmend schwer.
Gescheitert – was hilft jetzt?
Wenn wir Misserfolge erleben, scheitern oder uns Schicksalsschläge ereilen, hilft das Wissen „Da bin ich immer irgendwie durchgekommen“ im ersten Moment wenig bis gar nichts. Dann spüren wir nur diesen Kloß im Hals und fragen uns: „Warum ausgerechnet ich?“ Vielleicht sehen wir uns als Opfer der Umstände oder anderer Menschen oder wir suchen die Schuld fürs Scheitern bei uns selbst.
Doch wie gehen wir gut mit Scheitern und Misserfolg um? Diese Frage stellt sich auch Jennifer Dukes Lee in ihrem Buch „In der Ruhe liegt die Kraft“. Sie beobachtet drei typische Verarbeitungsstrategien von Misserfolg, die meist in unserem Persönlichkeitstyp begründet sind. Alle diese sogenannten Coping-Mechanismen beinhalten sowohl heilsame als auch problematische Anteile. Schauen wir sie uns einmal gemeinsam an.
1. Sich ins Tun stürzen
Da gibt es zum einen die Machertypen. Das sind die unter uns, die sprichwörtlich direkt wieder aufs Pferd steigen. Ein Projekt scheitert, sie haben das nächste bereits in der Hinterhand und schon am nächsten Tag beginnen sie etwas Neues. Da Machertypen oft ein hohes Maß an Energie und Resilienz mitbringen, fällt ihnen dies meist auch gar nicht schwer.
Gerade wenn es um kleinere Misserfolge geht, ist dieses Verhalten gesund. Nicht lange über verschüttete Milch zu weinen, hilft dabei, gedanklich nicht im eigenen Scheitern verhaftet zu bleiben. Außerdem kann ein neues Projekt auf positive Weise wieder ein Gefühl von Selbstwirksamkeit herstellen.
Doch sich nach einem geplatzten Traum direkt ins nächste Projekt zu stürzen, birgt auch Gefahren. Nicht immer verarbeiten Machertypen ihren Misserfolg emotional ebenso schnell, wie sie sich auf Neues einlassen. Kommt es dann zum erneuten Scheitern, versetzt dies dem eigenen Selbstwertgefühl einen nachhaltigen Dämpfer. Denn plötzlich kommen neben der aktuellen Enttäuschung alte unverarbeitete Gefühle hoch und müssen verarbeitet werden.
Auch setzen manche Machertypen sich nicht mit den Gründen für ihr Scheitern auseinander. Wer direkt zum nächsten Tagesordnungspunkt übergeht, vergisst leicht, die Gründe für das vorherige Scheitern zu reflektieren. So erkenne ich meinen Anteil am Scheitern nicht und kann demnach die Weichen für nächste Projekte auch nicht anders stellen.
Menschen, die eher zu den Machertypen zählen, tun daher gut daran, kurz innezuhalten, wenn ein Traum geplatzt ist oder sie einen Rückschlag erlitten haben.
Sie sollten sich nicht unnatürlich ausbremsen, aber es kann helfen, sich je nach Art des Rückschlags einen kurzen Zeitraum aufzuerlegen, um einmal innezuhalten. Dies kann je nach Situation ein Tag, eine Woche oder auch ein Monat sein.
Sich Gedanken zu machen und Ideen zu notieren, ist in dieser Zeit ausdrücklich erlaubt, übermäßiger Aktionismus dagegen verboten. Dies hilft mit neuer Energie und dem nötigen emotionalen Abstand ins nächste Projekt zu starten.
2. Den Misserfolg zerdenken
Ganz anders als die Machertypen muss man die Denker nicht ausbremsen. Diese Sorte Mensch verarbeitet Enttäuschungen, indem sie sie analysiert und wortwörtlich zerdenkt. Sie müssen in ihrem Kopf „die Dinge ordnen“, bevor sie bereit für die nächste Herausforderung sind. Das sorgt dafür, dass sie zu einem hohen Maß an Reflexion fähig sind und keinen Fehler zweimal machen.
In Bezug auf ihr Umfeld zeichnen sie sich meist dadurch aus, dass sie sich entweder nach Misserfolgen zurückziehen und wortkarg die Dinge mit sich selbst ausmachen. Oder sie nehmen andere in ihre vielfältigen Überlegungen mit hinein, was für Menschen, die selbst keine Denker sind, extrem anstrengend sein kann. Denn Denker erforschen auch die kleinsten Details ihres Scheiterns, da dies ihnen Sicherheit gibt.
Positiv an ihrer Coping-Strategie ist, dass Denker sich selten überstürzt an neue Projekte wagen oder an ihrem Scheitern emotional zerbrechen, aber sie können in ihrem gedanklichen Verarbeitungsmodus erstarren. Das Zerdenken von Misserfolg und Scheitern kann dazu führen, dass sie sich weder emotional noch praktisch damit auseinandersetzen. Hier brauchen sie gelegentlich einen kleinen Schubs von außen, um wieder in Schwung zu kommen.
Wenn du zu den Denkertypen gehörst, begrenze nach einem Misserfolg bewusst die Zeit, die du mit der Betrachtung deiner Situation verbringst. So entgehst du der Grübelfalle.
Stattdessen lenke deine Gedanken bewusst auf Lösungen und spüre in einer ruhigen Minute auch mal nach, was deine Erkenntnisse emotional in dir auslösen.
Nutze deine meist sehr gute Analysefähigkeit nicht, um dich von deinen Gefühlen abzukapseln, sondern um sie zu erkennen und zu verarbeiten. Dann hast du eine gute Chance, gestärkt aus dieser Situation hervorzugehen.
3. Heulen und Türen knallen
Gefühlsmenschen sind die, die für Außenstehende scheinbar am schlechtesten mit Misserfolg umgehen können. Da fließen schon mal die Tränen oder knallen Türen. Alles, was ein geplatzter Traum in ihnen auslöst, ist ihnen direkt abzuspüren und sie leben ihre Gefühle so roh und echt, dass es als Außenstehender manchmal richtiggehend unangenehm ist. „Muss der/die ihre Gefühle so rauslassen?“, fragt man sich da vielleicht.
Gleichzeitig ist Gefühlsmenschen oft die Komplexität ihrer Emotionen bewusster als anderen. Sie nehmen sehr genau wahr, was in ihnen vorgeht, und können dies meist auch in Worte fassen. Sie sind nicht nur wütend oder enttäuscht, sondern „stinksauer“ oder „am Boden zerstört“.
Dadurch dass sie ihre Emotionen so klar benennen können, verarbeiten Gefühlsmenschen sie oft besser als die anderen Typen, die ihre Gefühle tendenziell eher unterdrücken.
Und wenn sie einmal ihre Gefühle wahrgenommen und ausgelebt haben, sind sie innerlich wie äußerlich bereit für Neues. Auf sie trifft oft der Spruch vom reinigenden Gewitter zu.
Allerdings stimmt dies nicht immer. Manche Gefühlsmenschen neigen dazu, ihren Emotionen zu viel Bedeutung beizumessen und negativen Gefühlen zu stark nachzugeben. So reagieren sie gerade im ersten Moment einer Enttäuschung nicht immer diplomatisch und verbauen sich damit Chancen – gerade auch im beruflichen Kontext.
Zudem sind manche Gefühlsmenschen regelrechte Emotionsjunkies oder Dramaqueens. Sie schwanken zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. Dann löst im schlimmsten Fall schon ein kleiner Misserfolg eine depressive Verstimmung aus.
Hier und da setzen sich in Gefühlsmenschen auch Bitterkeit und Wut fest, besonders wenn ihnen übel mitgespielt wurde. Denn sie erspüren auch die Emotionen und Beweggründe anderer oft sehr genau und erkennen Beschämungen eher als andere und empfinden sie tiefer.
Für Gefühlsmenschen ist daher beim Umgang mit Misserfolg zum einen wichtig, einen sicheren Ort zu haben, wo sie ihre Gefühle herauslassen können, damit sie sich nicht anderswo Bahn brechen. Zum anderen sollten Gefühlsmenschen lernen, ihre Emotionen zwar zu erleben und wahrzunehmen, aber sich nicht von ihnen leiten zu lassen. Nicht jedes Gefühl erfordert eine direkte Reaktion. Das müssen Gefühlsmenschen lernen.
Zu guter Letzt gilt es als Gefühlsmensch, Emotionen auch wieder loszulassen und dem Beispiel der Denker und Macher zu folgen und das Erlebte praktisch und kognitiv zu verarbeiten.
Wo Macher das Innehalten lernen und Denker ihr Grübeln begrenzen müssen, müssen Gefühlsmenschen lernen, ihre Emotionen auch wieder ziehen zu lassen.
Welcher Persönlichkeitstyp bist du?
Vermutlich hast du beim Lesen bereits überlegt, welcher Persönlichkeitstyp du bist. Eventuell hast du dich direkt in einer Beschreibung wiedererkannt oder aber du schwankst, weil du Anteile mehrerer Typen bei dir entdeckst.
Tatsächlich reagieren die wenigsten Menschen immer auf die exakt gleiche Weise auf Misserfolg oder Scheitern. Das liegt zum einen daran, dass uns das Platzen verschiedener Lebensträume auf unterschiedliche Weise trifft. Es kann sein, dass du einen Jobverlust sehr pragmatisch angehst, dich eine Trennung aber emotional total durchrüttelt.
Auch passen wir uns in unserer Reaktion unserem Umfeld an. In manchen Lebenskrisen erwarten wir Durchhalten von uns und anderen, während in anderen das Zeigen emotionaler Reaktionen akzeptiert und sogar erwartet wird.
Wenn sich also deine Coping-Strategien je nach Kontext stark unterscheiden, kann es sein, dass du deine Reaktion unbewusst bereits dem anpasst, was von außen her von dir erwartet wird. Dann lohnt es sich, einmal zu reflektieren, welche Reaktion auf dein Scheitern dir selbst naheliegt und dir guttun würde.
Es ist dann vielleicht immer noch ratsam, im Büro nicht über einem gescheiterten Projekt in Tränen auszubrechen, aber du kannst dir an einem geschützten Ort gestatten, dies zu tun, wenn das die Reaktion ist, die für dich in dieser Situation heilsam ist.
In jedem Fall ist sinnvoll, einmal generell zu überlegen, zu welchem Reaktionstyp du neigst.
Meist haben wir aufgrund unserer Prägung und Persönlichkeit eins dieser Muster automatisiert abgespeichert. Erkenne, welches das bei dir ist, und reflektiere, wo es dir hilft, Schmerz und Enttäuschung zu verarbeiten, und wo es dich bremst.
Beerdigungen für geplatzte Träume
Ich habe es oben bereits angesprochen: Es gibt gesellschaftliche Normen für den Umgang mit zerplatzten Lebensträumen, mit Scheitern, Trauer und Schmerz. Wenn etwa ein Mensch stirbt, ist es für uns ganz natürlich, dass wir bei einer Beerdigung von ihm Abschied nehmen. Gemeinsam erinnern wir uns an den geliebten Menschen. Das tut gut und spendet Trost.
Doch durch viele andere Lebensenttäuschungen gehen Menschen allein. Wenn ein Paar erfährt, dass es keine Kinder bekommen kann, bleibt es mit diesem Schmerz oft allein. Oder falls es davon berichtet, werden höchstens Tipps zur Adoption oder für medizinische Eingriffe geteilt, statt einfach mal innezuhalten und den Schmerz mit auszuhalten.
Bei beruflichen Rückschlägen ist es noch krasser. Hier muss man sich oft bezüglich des eigenen Anteils am Scheitern erklären. Oder es wird nicht verstanden, dass der Abschied von Arbeitskollegen, mit denen man jahrzehntelang acht Stunden pro Tag zusammengearbeitet hat, auf persönlicher Ebene ähnlich hart sein kann wie eine Trennung oder das Ende einer Freundschaft.
Jennifer Dukes Lee ermutigt, sich auch in solchen Fällen voreinander neu verletzlich zu machen. Denn ihrer Ansicht nach sollte es normal werden, dass Christen sich auch bei geplatzten Lebensträumen gegenseitig trösten und füreinander beten, so wie sie es auch bei körperlichen Erkrankungen oder in Trauerfällen tun.
Sie macht hier einen Vorschlag, den ich sehr spannend finde. Sie ermutigt dazu, für sich selbst quasi „Beerdigungen für geplatzte Träume“ abzuhalten. Dukes Lee schlägt vor, zum Beispiel ein kurzes Gebet zu sprechen oder ein Lied zu singen oder anzuhören, was dich in deinem Schmerz abholt. Vielleicht ist dir sogar nach einer kleinen Trauerrede.
Tue einfach bewusst etwas, was dir hilft, zu trauern, zu verarbeiten und dann auch loszulassen – allein oder gemeinsam mit anderen.
Schmerz zulassen, um ihn loszulassen
Dazu ist es aber auch nötig, den eigenen Schmerz nicht länger kleinzureden. Dukes Lee beobachtet, dass wir mit „Wenigstens“-Aussagen schnell unsere eigene Enttäuschung herunterspielen. Dann sagen wir uns selbst oder anderen Dinge wie: „Ich habe meinen Job verloren, aber wenigstens verdient mein Mann gut“ oder „Meine Ehe ist gescheitert, aber wenigstens habe ich super Freunde“ oder „Ich lebe mit chronischen Schmerzen, aber wenigstens habe ich kein Krebs“.
Natürlich kann es hier und da hilfreich sein, den eigenen Schmerz in Relation zu dem Schmerz anderer oder zu positiven Aspekten unseres Lebens zu setzen. Aber wo dies dazu führt, Enttäuschung, Trauer oder Wut über zerplatzte Lebensträume zu übergehen, tut uns das nicht gut. Ganz gleich, wie schlecht es dem Freund, der Nachbarin oder dem Arbeitskollegen geht, du darfst deinen Schmerz und deine Enttäuschung ernstnehmen und um das, was du verloren hast, trauern. So, wie es sich für dich richtig anfühlt.
Vielleicht hilft dir hierbei auch das vorher mehrfach vorgeschlagene Zeitlimit. Sage dir zum Beispiel: „Es hat mit dem neuen Job nicht geklappt. Jetzt gönne ich mir zwei Wochen, um einfach mal traurig darüber zu sein. Danach überlege ich, wo ich mich noch bewerben könnte.“
Du wirst sehen: Wenn du dir Zeit zum Trauern einräumst, fällt dir der Schritt zurück ins aktive Tun viel leichter.
Rebecca Schneebeli
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Quelle: Geplatzter Lebenstraum – und nun?