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Fünf Minuten mit Esther

erstellt am 18.07.2025 00:00:00

„Wir haben nur fünf Minuten, um Esther* zu begegnen.“ Während ich im Auto sitze, denke ich über den Satz nach. Ich schaue aus dem Fenster auf die grünen, hohen Berge Kirgisistans. Gleichzeitig sehe ich den Staub von der Straße aufwirbeln. Gemeinsam mit dem TWR-Team sind wir unterwegs, um eine kleine Gemeinde zu besuchen. Es wirkt friedlich, weit, fast idyllisch. Doch wer in Kirgisistan Christ ist, lebt oft im Verborgenen. In vielen Teilen des muslimischen Landes sind Konvertiten starker Kontrolle ausgesetzt. Besonders in ländlichen Gegenden. 

Ich frage mich, wo wir Esther begegnen sollen. Mitten in der Weite, irgendwo zwischen Steppe und Bergen? Ich weiß, dass wir nicht viel Zeit mit ihr haben werden. Noch bevor ich mir weiter Gedanken machen kann, erkenne ich eine Frau am Wegrand stehen.  

Esther ist von ihrem Dorf durch die Berge gekommen. Vermutlich dauerte es Stunden. Sie steht auf der abgelegenen Straße und wartet. Die Sonne prallt ihr ins Gesicht. Durch das Kopftuch lässt sich ein breites Lächeln erhaschen. In der Hand hält sie eine große Tasche, die vollgepackt aussieht. Sie steigt ins Auto, lehnt aber höflich meinen Beifahrerplatz vorne ab. Die abgedunkelten Scheiben hinten sollen ihr Schutz geben.  

Sie begrüßt uns mit einem Lächeln, das sich schnell in Tränen umwandelt. Leise sagt sie: „Wie schön ist es euch zu treffen. Ich lebe allein hier.“ Sie greift in ihre Tasche, schenkt uns ihr selbstgebackenes Brot und teilt Becher aus. Während sie ihr Getränk jedem eingießt, erzählt sie uns ihre Geschichte.  

Allein als Christ im Bergdorf 

„Der einzige Christ in meinem Dorf ist mein Radio.“ Esther lebt als Christin in einem entlegenen, mehrheitlich muslimischen Dorf. Sie hat kein geistliches Zuhause, keine Gemeinde. Doch sie hört täglich die Radiosendungen. Auf ihrem Handy kommentiert sie Videos, die das Team auf den Social-Media-Kanälen teilt. Sie erzählt uns, wie glücklich sie ist, wenn sie auch nur einen Christen treffen kann.  

Dass Esther heute noch mit ihrer Familie im Dorf lebt, ist nicht selbstverständlich. Sie gibt sich Mühe, ein gutes Verhältnis zu ihren Kindern und zur Schwiegertochter zu pflegen. Doch diese ungewohnte Nähe machte ihre Schwiegertochter misstrauisch. In Zentralasien ist es Tradition, dass junge Ehepaare die ersten Jahre bei der Familie des Mannes wohnen. Schwiegertöchter müssen den Haushalt übernehmen, gehorchen und sich fügen. Esthers Verhalten als Schwiegermutter passt nicht ins Bild.  

Die junge Frau beginnt nachzuforschen und erfährt, dass Esther einer anderen Religion angehört. Im Dorf gilt das als schwerwiegender Verstoß. Kurz darauf verrät die Schwiegertochter Esther an die Polizei. Sie wird vorgeladen. 

Vor der Polizei 

„Bist du Christ?“. Der Polizist erwartet eine Antwort von Esther, die still mit einem freundlichen Lächeln auf ihn blickt. Doch er zögert nicht lange und beantwortet die Frage für sie: „Ja, du bist Christ.“ Von nun an muss Esther eine Kopfbedeckung tragen und den Ramadan einhalten. Ein Moment der Erleichterung, erzählt sie uns. Denn statt aus ihrem Dorf verbannt zu werden, kann sie die Gebets- und Fastenzeiten mit „Isa“ (kirg.: Jesus) nutzen. Ihr Mann ist Moslem und überlässt ihr die Arbeit im Haus, Garten und mit den Kindern. Diese Zeit ist für sie wertvoll, denn sie kann sie mit den christlichen Programmen auf ihrem Radio und Handy nutzen.  

„Rachmat Isa“ 

Die fünf Minuten im Auto sind fast rum. Esther lächelt mich an und bedankt sich bei dem Team und ebenso bei mir, dass ich aus Deutschland gekommen bin.  

Wir beten gemeinsam und segnen einander. Während Esther betet, verstehe ich einen Satz: „Rachmat, Isa.“ Es bedeutet „Danke Jesus“ auf Kirgisisch. Ich höre ihr aufmerksam zu. Immer wieder kommt der Dank in ihrem Gebet vor. Es sind einfache Worte, aber sie tragen Gewicht. Worte, die in einem Land wie Kirgisistan Mut erfordern. Worte, die man hier nicht unbedacht ausspricht. Nach dem Gebet geben wir ihr eine kleine Tasche mit Essen und persönlichen Dingen mit. Sie bedankt sich erneut und steigt aus dem Auto aus. Ich sehe sie im Rückspiegel zurück in die Berge gehen. 

„Rachmat, Isa.“ sage ich mir immer wieder in Gedanken. Diese Worte tragen mich weiter. Mehr als alles, was ich sonst gehört habe. Es ist eine Dankbarkeit - nicht für das, was sichtbar ist. Sondern für den, der bleibt, wenn alles andere geht. Esthers Dank ist nicht an äußere Sicherheit gebunden. Nicht an Status, nicht an Zustimmung. Ihr Dank gilt Jesus. Dem, der sie sieht, wenn andere wegsehen. Der sie hält, wenn alles bröckelt. 

Am Ende bleibt Esther, dem Team und mir ein stilles, standhaftes „Rachmat Isa - Danke Jesus“. Und das reicht aus. 

*Esthers Name wurde aus Sicherheitsgründen geändert.

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Nicole Zweininger


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Quelle: Fünf Minuten mit Esther

von youthweb

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