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„Autsch, das tat weh!“ Wie oft habe ich diesen Satz schon mit schmerzverzerrtem Gesicht gesagt, weil ich mir den Fuß angestoßen habe oder irgendwo gegengelaufen bin. Wahrscheinlich hätte ich ihn noch viel öfter gesagt, wäre es normal, auch bei seelischen Verletzungen meinen Schmerz verbal auszudrücken. Aber das macht ja keiner.
Vielleicht wäre es dennoch gut. Denn viel zu oft schlucke ich seelischen Schmerz herunter und tue so, als hätte mein Gegenüber mir nicht wehgetan. Das tut mir und der Beziehung zum anderen gar nicht gut. Denn die Verletzung und die damit verbundenen negativen Gefühle stauen sich an und belasten mich und die Beziehung.
Geht es dir ähnlich? Dann fragst du dich vielleicht genau wie ich, wie das Ganze besser geht. Da es viele Menschen gibt, die in dieser Sache ratlos sind, hat sich die Schauspielerin und Autorin Eva-Maria Admiral dieses Themas angenommen. Sie hat das Buch „Es ist nie zu spät, befreit zu leben“ geschrieben und gibt Seminare dazu, wie man Kränkungen überwindet. In der „Das Gespräch“-Sendung „Die Macht der Kränkung” hat sie darüber gesprochen.
Was genau ist eine Kränkung?
Eva-Maria Admiral erklärt im Gespräch, was bei einer Kränkung passiert: Kränkungen erschüttern mein Selbst und meine Werte; also das, was mich ausmacht und woran ich glaube. Damit ziehen sie mir sprichwörtlich den Boden unter den Füßen weg.
Es geht bei der Kränkung um tiefgehenden seelischen Schmerz, den das Verhalten eines anderen Menschen in mir auslöst. So etwas wie die spitze Bemerkung eines Fremden oder Unfreundlichkeiten im Alltag sind also nicht gemeint, obwohl sie auch als Kränkung bezeichnet werden.
Kränkungen können durch Botschaften ausgelöst werden, die ich schon als Kind gehört und die mich zutiefst verletzt haben. Sie können so mein ganzes Leben bestimmen.
Gerade wenn wichtige Menschen wie die Eltern oder der Partner mir mit Ablehnung begegnen und ich ihre Erwartungen nicht erfülle, ist eine Kränkung meist die Folge.
Kränkungen können sich dann in abgespeicherten negativen Glaubenssätzen oder Gedanken über mich selbst äußern. Diese kommen dann immer wieder hoch, wenn sie von anderen getriggert werden. Es sind wunde Punkte in der eigenen Seele, die bei jeder Berührung neu schmerzen.
Wunde Punkte rauben Fokus auf die Gegenwart
Weil diese wunden Punkte immer wieder erneut akut schmerzen, kostet das viel Energie. Es kann sein, dass ich unbewusst ständig gegen meine seelischen Verletzungen ankämpfe und sie verdränge, um ihnen nicht ausgeliefert zu sein.
Durch Kränkungen ausgelöste negative Gedanken über mich selbst können so mein ganzes Sein bestimmen und mir den Fokus auf das Hier und Jetzt rauben. Denn meine Gedanken gehen immer wieder zu den schmerzhaften Erlebnissen aus meiner Vergangenheit zurück und ich verspüre damit verbundene Gefühle. Vielleicht entwickle ich sogar Ängste im Blick auf die Zukunft. Das kann bewusst und unbewusst geschehen.
Unverarbeitete Kränkungen haben somit eine enorme Macht. Denn sie behindern ein gesundes Selbstwertgefühl und machen mich handlungsunfähig. Sie halten mich gefangen.
Kränkungen überwinden – wie gelingt’s?
Doch das muss nicht sein. Ich kann mich entscheiden, wie ich mit dem umgehe, was mir widerfahren ist. Auch wenn ich schon in meiner Kindheit tief verletzt wurde und dadurch wunde Punkte in mir trage, bin ich diesen nicht schutzlos ausgeliefert. Ich kann mich meinen Kränkungen stellen. Eva-Maria Admiral nennt vier Tipps, wie das möglich wird:
1. Wahrnehmen, was in mir passiert
Um mit einer Kränkung gut umzugehen, muss ich die Verletzung zunächst einmal wahrnehmen. Ich muss sie als solche erkennen. Das klingt logisch, kann aber durchaus schwierig sein. Denn nicht immer merke ich bewusst, warum ich gerade auf etwas ungewöhnlich emotional reagiere.
Meine Emotion ist jedoch ein guter Indikator dafür, dass etwas in mir passiert. Wenn ich extrem traurig oder eingeschnappt auf eine Aussage reagiere, kann das ein Hinweis auf eine tiefergehende Wunde in meinem Herzen sein, die gerade aufgerissen wurde.
Wenn ich erkenne, was hier mein Bedürfnis ist und wie dieses nicht erfüllt wurde, kann ich die Kränkung identifizieren.
Ein Beispiel: Ich bin mit einer Freundin zum Essen verabredet. Als sie ohne Nachricht 30 Minuten später als ausgemacht im Restaurant auftaucht, bin ich niedergeschlagen und mir kommen sogar ein paar Tränen. Von meiner emotionalen Reaktion auf ihre Verspätung bin ich selbst erstaunt.
Aber dann merke ich: Es knüpft an eine Verletzung aus meiner Vergangenheit an. Denn ich wurde schon einmal von einer für mich wichtigen Person versetzt. Dadurch fühlte ich mich, als wäre ich meinem Gegenüber egal. Die Verspätung meiner Freundin holt diese Emotion neu hoch und ich fürchte, dass ich auch ihr egal sein könnte.
Dadurch, dass mir das bewusst wird, kann ich die damalige Erfahrung und das Erlebnis mit meiner Freundin voneinander trennen. Ich erkenne, welche Angst hinter meiner emotionalen Reaktion steht. Und ich kann besser mit ihr umgehen.
2. Inneren Abstand gewinnen
Wenn ich die Kränkung identifiziert habe und mir eingestehe, dass mich etwas verletzt hat, geschieht so der nächste wichtige Schritt: Ich gewinne Abstand. Denn, indem ich das Unrecht erkenne und es als solches benenne, ziehe ich eine Grenze von mir zur Kränkung. Ich stelle mich den negativen Gefühlen und kann ihnen anschließend auf den Grund gehen, statt im Gefühl der Kränkung zu verharren. Zusätzlich mache ich mir klar:
Die Kränkung ist eine Grenzüberschreitung. Ich möchte anders behandelt werden. Damit gebe ich mir selbst Wert und definiere meine Grenzen.
In manchen Fällen reicht der innere Abstand nicht aus, um eine Grenze zur Kränkung zu ziehen. Wenn eine Person mich immer wieder verletzt – eventuell sogar bewusst, kann es angebracht sein, mich von dieser Person zu distanzieren. Dies tue ich dann nicht, weil ich beleidigt über die Kränkung bin, sondern um mich vor weiteren Kränkungen zu schützen.
Denn wenn ich unter ständigem Beschuss stehe, kann ich Kränkungen nur sehr schwer identifizieren. Sie werden für mich normal und mein Selbstwertgefühl leidet dauerhaft.
Um innere Verletzungen zu erkennen und zu heilen, brauche ich Abstand vom Auslöser der Kränkung. Erst dann kann ich mich von den ständigen Angriffen erholen und einen neuen Umgang mit kränkendem Verhalten einüben.
3. Vergeben und vielleicht sogar versöhnen
Als Christ weiß ich, dass ich mit allem, was mich beschäftigt, zu Gott kommen kann. Ich darf mein Herz bei ihm ausschütten und ihn in jeder Lage um Hilfe bitten. Er kümmert sich um mich und diese Dinge.
So ist es auch mit den Menschen, die mir Unrecht tun oder getan haben. Auch über sie kann ich mit Gott sprechen – und auf seine Hilfe im Umgang damit vertrauen. Dadurch, dass ich mit Gott darüber spreche, wird der Weg frei zur Vergebung.
Vergeben bedeutet nicht, dass ich Unrecht einfach vergesse oder schönrede. Es bedeutet, dass ich es an Gott übergebe.
Ich teile meine Erlebnisse und belastenden Gefühle mit ihm, lege sie in seine Hände und überlasse ihm das Urteil darüber.
Zu vergeben ist befreiend. Denn es macht mich zu einem bitteren Menschen, wenn ich ständig Zorn mit mir herumtrage. Es raubt mir Kraft und Freude und lässt mich immer wieder an das Unrecht denken. Das verstärkt destruktive Gefühle nur. So bleibe ich gefangen in einem Kreislauf von Verletzung und Bitterkeit.
Ist es nicht viel schöner, diesen Kreislauf zu durchbrechen, die unguten Gefühle hinter mir zu lassen und über sie hinauszuwachsen? Dann kann dieser Platz in meinem Herzen wieder mit etwas Schönem gefüllt werden.
Vielleicht kann sogar die Beziehung zum Auslöser der Kränkung wiederhergestellt werden. Wichtig hierbei ist, dass auch mein Gegenüber ein Unrechtsbewusstsein hat und bestenfalls zu einer Verhaltensänderung bereit ist. Für wahre Versöhnung braucht es nämlich auch das Anerkennen von Unrecht und eine ehrlich gemeinte Entschuldigung.
4. Gottes Blick auf mich annehmen
Aus einer Lebensgeschichte, die gezeichnet ist von Kränkungen, kann viel Gutes entstehen. Genau dort, wo ich Kränkungen erfahren habe, möchte Gott mir Wert zusprechen. Statt mich von meinen Verletzungen definieren zu lassen, darf ich seine guten Gedanken über mich annehmen. Wenn ich erkenne und spüre, dass ich sein geliebtes Kind bin, kann ich meine Vergangenheit und alte Glaubenssätze loslassen.
Gott möchte mir eine neue Gegenwart schenken: ein gesundes Selbstwertgefühl und vielleicht sogar Engagement für andere, die eine ähnliche Geschichte haben.
So war es bei Eva-Maria Admiral. In ihrer Kindheit wurde sie von ihren Eltern mehrfach zutiefst verletzt: Eva-Maria wusste, dass sie nicht gewollt war, und wurde früh auf ein Internat geschickt. Ihr Bruder hingegen wurde sehr geliebt und ihr vorgezogen. Er bekam als Erwachsener sogar das alleinige Erbe der Familie.
Eva-Maria erlebte mehrfache Kränkungen in ihrer Familie – durch Worte und durch das Verhalten ihrer Eltern. Als Erwachsene stellte sie sich diesen tiefen Verletzungen. Sie vergab ihrer Familie, ließ ihre bisherige Lebensgeschichte los und fragte Gott: „Welche Geschichte hast du für mich?“
Dabei nahm sie bewusst Gottes Identität für sich an und fand ein Anliegen: Sie wollte anderen Menschen helfen, Kränkungen zu überwinden und ihre Geschichte von Gott neu schreiben zu lassen. So entstanden ihre Seminare und Bücher zu dem Thema.
Was, wenn ich immer wieder verletzt werde?
Kränkungen wirklich hinter sich zu lassen, ist dennoch nicht leicht. Es ist möglich, dass ich immer wieder in den gleichen Bereichen verletzt werde. Vielleicht weil mein Gegenüber nicht weiß, wo meine wunden Punkte liegen, und mit einer Aussage oder Verhaltensweise genau ins Schwarze trifft. Das tut dann richtig weh, denn das ganze Gewicht der alten Verletzung wird mir neu entgegengeschleudert.
Die entscheidende Frage in einer solchen Situation ist, ob ich mir darüber bewusst bin, was in mir passiert. Kenne ich meine wunden Punkte und bemerke, dass sie getroffen wurden? Kann ich folglich aus dem Kränkungsgefühl aussteigen, weil ich mir bewusst bin „Das holt nur etwas in mir hoch“?
Über meine wunden Punkte Bescheid zu wissen, erfordert Selbstreflektion. Mich zudem gegen meine intuitive, verletzte Haltung zu entscheiden, erfordert Kraft. Ich muss lernen, mein Fühlen und Denken bewusst zu steuern.
In manchen Fällen habe ich dazu vielleicht nicht die nötige Kraft. Ich merke zwar, dass die Kränkung mein Leben negativ beeinflusst, doch kann destruktive Gefühle und Gedanken nicht hinter mir lassen. Dann bestimmen die Wunden aus der Vergangenheit mein Leben. In solchen Fällen kann professionelle Hilfe in Form von Seelsorge oder Psychotherapie sinnvoll sein.
Ob aus eigener Kraft oder mit professioneller Hilfe – Kränkungen verlieren ihre Macht, wenn ich mich ihnen stelle.
So kann ich befreit leben und Gottes Identität für mich als sein Kind annehmen.
Ich hoffe, dieser Artikel ist dir eine erste Hilfe, um besser mit Kränkungen umzugehen. Welcher Aspekt dieses Themas war dir neu und bleibt bei dir besonders hängen? Und was ist dein nächster Schritt, um besser mit seelischen Verletzungen umzugehen? Schreib uns dazu gerne einen Kommentar. Wir freuen uns, von dir zu lesen.
Delia Emmerich
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Quelle: „Ich fühle mich so verletzt!“