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Haben Sie sich schon mal gefragt, wie aus einer kleinen Gruppe von verängstigten Menschen eine weltumspannende Institution wurde, die die Geschicke von ganzen Kontinenten beeinflusste und lenkte? Wie aus einer Handvoll Christen in Jerusalem der Kirchenstaat in Rom entstand? Hier folgt eine – zugegeben skizzenhafte – knappe Zusammenfassung.
Als Jesus starb, schrumpfte die Zahl an Fans, die ihm folgten, zu einer kleinen Schar zusammen. Diese wenigen Männer und Frauen hätten gut und gerne in der Weltgeschichte vergessen werden können, wäre da nicht der „Missionsbefehl“ (Matthäus 28,19-20) gewesen. In diesem forderte Jesus seine Nachfolger auf, seine Botschaft weiterzusagen.
Aus dieser kleinen Gruppe an Menschen, die von ihrem Glauben erzählten, entstand eine neue Religionsgemeinschaft, aus der sich schließlich die Institution Kirche bildete.
Zu Beginn waren die Christen eine kleine Gruppe, die im römischen Staat und nicht nur dort verfolgt wurde. In den neutestamentlichen Schriften war es ein wichtiges Thema, inwieweit Christen sich den römischen Bräuchen und Gesetzen anpassen sollten und wo sie aufgerufen waren, anders zu handeln als ihre Umgebung. Auch der Umgang mit der staatlichen Verfolgung bewegte die Apostel in ihren Briefen.
Gleichzeitig zog der neue Glaube viele Menschen an, die sich nach und nach den Christen anschlossen. So wurde das Christentum zu einer großen Bewegung, die auch römische Geschichtsschreiber erwähnten. Während die Christen am Anfang im römischen Staat noch verfolgt wurden, entwickelten sie sich zunehmend zu einer Gruppe mit Einfluss und Bedeutung.
Von einer Glaubensgemeinschaft zur Staatskirche
Spätestens als Kaiser Konstantin im Jahr 380 das Christentum zur Staatsreligion des römischen Reiches erhob, war aus der Glaubensgemeinschaft ein Machtfaktor geworden. Die christlichen Symbole waren nun nicht mehr nur Zeichen eines Glaubens, sondern vielmehr eines Herrschaftsanspruches.
Die Botschaft, die Konstantin im Traum erhalten haben soll („Unter diesem Zeichen wirst Du siegen“) und die allem Anschein nach die sogenannte „Konstantinische Wende“ herbeigeführt hat, ist eine Aussage, die als Machtanspruch über die Feinde des Staates zu verstehen ist.
Von nun an war allen klar, dass am Christentum vorbei kein Staat mehr zu machen ist. Und auch das wurde vielen Menschen deutlich:
Wer das Sagen über das Christentum hatte, konnte auch Macht für sich in Anspruch nehmen – in geistlichen, aber auch in sehr weltlichen Dingen.
Wie wurde Rom zum Zentrum geistlicher Macht?
Doch so eine Machtposition brauchte eine Person, die sie ausfüllt, und einen Ort, an dem sie ihr Zentrum hat. Da Rom damals das Zentrum der Macht war und das Christentum dort als Staatsreligion festgeschrieben wurde, war der Ort schnell festgelegt. Nicht Jerusalem, Antiochia oder Athen kamen dafür in Frage, denn dies waren keine Machtzentren in der damaligen Zeit.
Nun musste noch eine Person gefunden werden, die an diesem Ort die Funktion eines geistlichen Oberhaupts dieser neuen Staatsreligion ausüben sollte. Diese Person war der Bischof von Rom. Er wurde als geistliches Oberhaupt der christlichen Gemeinschaft im damaligen Machtzentrum des römischen Reiches eingesetzt.
In den folgenden Jahrhunderten sollte der Bischof von Rom als Papst zur mächtigsten Person im christlichen Abendland aufsteigen. Erst im Rahmen der Aufklärung und der Revolutionen des 18. Jahrhunderts büßte er seine machtvolle Stellung in weltlichen Dingen tatsächlich ein. Seine geistliche Bedeutung ist bis heute – zumindest für die römisch-katholische Kirche – unangefochten.
Die biblische Herleitung des geistlichen Machtanspruchs des Papstes
Doch so einfach war die Machtfrage nicht geklärt, denn in der Kirche der frühen Christenheit waren die Strukturen noch nicht so gefestigt, wie man glauben könnte. Das Neue Testament der Bibel enthält zwar klare Anweisungen zum Thema Gemeindeälteste und auch zu Bischöfen und Diakonen. Doch diese Amtsbezeichnungen und Amtspersonen bezogen sich zunächst nur auf einzelne Gemeinden und nicht auf ein größeres Gebiet oder gar mehrere Gemeinden.
Zu Beginn war die Kirche sogar sehr demokratisch angelegt. Aus ihrer Mitte wählte und bestimmte die Gemeinschaft der Gläubigen ihre Bischöfe, Ältesten und Diakone selbst. Dabei standen klar geistliche Gesichtspunkte bei der Auswahl im Mittelpunkt (vgl. 1. Timotheus 3; Titus 1). Doch in keiner der paulinischen Schriften wird von einem Erzbischof gesprochen oder einer lebenden Person, die über den anderen Bischöfen stehen sollte.
Paulus selbst, der durch sein Wirken in zahlreichen Gemeinden tatsächlich über einen gewissen überregionalen Einfluss verfügte, lehnte sogar jegliche Vormachtstellung vor anderen Aposteln bewusst ab. Auf ihm ließ sich daher keine Staatskirche aufbauen mit nur einer Person an der Spitze. Dafür musste der Apostel Petrus herhalten, über den Jesus dankenswerterweise sagte „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen“ (Matthäus 16,18).
Nun musste nur noch die Anwesenheit von Petrus in Rom als erstem Bischof Roms nachgewiesen werden und eine ununterbrochene Linie (Sukzession) zwischen dem Apostel Petrus und allen späteren Bischöfen von Rom aufgebaut werden. Zwar ist im Neuen Testament davon zu lesen, dass Paulus in Rom war und dort gefangen gehalten wurde. Über Petrus in Rom schweigt die Bibel dagegen.
Bis heute ist umstritten, ob sich Petrus tatsächlich je in Rom aufgehalten hat. Frühchristliche Schriften deuten allerdings darauf hin.
Vom Bischof von Rom zum Großgrundbesitzer in Italien
Dass der Bischof von Rom anfangs noch nicht die geistliche Bedeutung und Macht hatte, die er später erlangen sollte, wird auch am Konzil von Nicäa im Jahr 325 deutlich. Das Konzil zeigt vielmehr die damals noch vorhandenen Vielfalt innerhalb der christlichen Kirche. Ort dieses historischen Treffens war eben nicht Rom, obwohl der römische Kaiser Konstantin es einberief, sondern eine Stadt in der Nähe von Byzanz (dem heutigen Istanbul und späterem Machtzentrum des oströmischen bzw. byzantinischen Reiches).
Erst im Laufe der folgenden Jahrhunderte entwickelte sich der Bischof von Rom, aus dem dann das Papstamt hervorgehen sollte, zur mächtigsten Person in der Christenheit. Zum einen wuchs der Besitz der römischen Kirche durch geschenkte Ländereien in Italien tatsächlich immer weiter an. Der Bischof von Rom wurde so Großgrundbesitzer in Italien.
Zwei Fälschungen sichern den Landbesitz des Papstes langfristig
Doch dieser Besitz sollte auch von höchster Stelle legitimiert und gesichert werden. Hier kommen nun zwei Dokumente ins Spiel, die die Machtposition der Kirche für alle Zeiten zementieren sollten. Beide Dokumente erwiesen sich später als Fälschungen.
Dabei handelt es sich erstens um die sogenannte „Konstantinische Schenkung“. Diese Urkunde soll angeblich zu Beginn des 4. Jahrhunderts vom römischen Kaiser Konstantin I. ausgestellt worden sein. Darin wird Papst Silvester I. (damals Bischof von Rom) und seinen Nachfolgern eine zeitlich uneingeschränkte Herrschaft über Rom, Italien und letztlich die gesamte Welt übertragen. Diese Herrschaft bezog sich auf geistliche und politische Belange. Schon im Mittelalter stellten jedoch Gelehrte fest, dass es sich hierbei um eine Fälschung (vermutlich aus dem 8. Jahrhundert) handeln muss.
Das zweite Dokument ist die sogenannte „Pippinische Schenkung“. Hier ist die Geschichte etwas komplizierter. Durch den Einfall der Langobarden in Norditalien geriet der Papst in Rom, Stephan II., unter Druck. Er vereinbarte daraufhin angeblich einen Handel mit dem König der Karolinger Pippin III. Der Papst würde die Wahl des Pippin zum König legitimieren, wenn dieser im Gegenzug die Langobarden für den Papst besiegte. Zusätzlich sollte Pippin der Kirche von Rom auch sämtliche Ländereien, die die Langobarden zuvor eingenommen hatten, überlassen.
Angeblich hat sich Pippin III. auf den Handel eingelassen. Doch da sich außerhalb von kirchlichen Urkunden keine Belege für so eine Vereinbarung finden, wird die Rechtmäßigkeit dieser Pippinischen Schenkung bis heute angezweifelt. Für den damaligen Zeitpunkt hatte die Kirche von Rom jedoch erstmal ihre Machtposition gesichert. Der Vatikanstaat entstand.
Der Weg zur päpstlichen Weltmacht
Spätestens mit der Krönung von Karl dem Großen im Jahr 800 in Aachen manifestierte sich die Verbindung von Kirche und Staat. Karl der Große war der bis dahin mächtigste christliche Herrscher in Europa. Sein Reich umfasste das heutige Frankreich, Belgien, Niederlande, Luxemburg, weite Teile Deutschlands, die Schweiz, Österreich und Italien.
Karl der Große ließ nun seine Macht durch die Krönung durch den Papst legitimieren und schützte und stärkte so wiederum im Gegenzug die Machtposition des Papstes.
Thron und Altar waren nun zunehmend nicht mehr voneinander zu trennen. Mit fatalen Folgen: Die Kirche legitimierte fortan die weltlichen Herrscher und diese wiederum fungierten als Beschützer der Kirche.
Dabei war das Verhältnis nicht immer einfach oder gar ungetrübt. Immer wieder kam es zu Konflikten zwischen weltlichen und geistlichen Herrschern. Das wohl bekannteste Beispiel für diese spannungsreiche Beziehung und gleichzeitig den Einfluss der Kirche auch über weltliche Herrscher ist der später sprichwörtlich gewordene „Gang nach Canossa“.
Selbst Könige zittern vor der Macht des Papstes
Im Jahr 1076 trat ihn der deutsche König Heinrich IV. an, nachdem Papst Gregor VII. ihn aus der Kirche ausgeschlossen hatte. Auslöser dafür war der Streit um die Besetzung des Bischofsamtes in Mailand. Heinrich IV. hatte diese Entscheidung des Papstes nicht anerkannt und den Papst für abgesetzt erklärt.
Als dieser Heinrich IV. aus der Kirche ausschloss und der König erkennen musste, dass der Einfluss des Papstes seinen weit überstieg, machte er sich auf zum Bußgang, der im Januar 1077 vor der norditalienischen Burg Canossa endete. Drei Tage lang ließ Papst Gregor VII. Heinrich IV. vor der Burg warten und das im Januar, bei bitterer Kälte.
Der König nahm diese Demütigung hin. Denn sein Ausschluss aus der Kirche war keinesfalls eine rein kirchliche Angelegenheit gewesen. Mit dem Bann, den Gregor VII. über Heinrich IV. ausgesprochen hatte, hatte dieser auch alle weltlichen Gefolgsleute des Königs von ihren Verpflichtungen entbunden. Als viele Fürsten sich von Heinrich IV. abwendeten und eine Neuwahl anstrebten, blieb ihm als einziges und letztes Mittel des eigenen Machterhalts die Aussöhnung mit dem Papst.
Der Gang nach Canossa ist daher als einer der Höhepunkte kirchlicher Macht zu betrachten. Denn er zeigt eindrücklich, wie die Kirche Staaten im Mittelalter und der frühen Neuzeit beeinflussen konnte.
Sie war dazu in der Lage, weil sie das gesamte Weltbild der Menschen prägte und bis ins Privateste hinein das Leben der Menschen beeinflusste und steuerte.
Und dann kam Martin Luther
Für die nächsten Jahrhunderte hatte die Kirche eine ungeheure Machtfülle. Ein Ende fand sie erst durch Martin Luther mit seinem berühmten Thesenanschlag im Jahr 1517. Er brachte die Kirche ins Wanken, indem er die Autorität der Kirche in Frage stellte und damit ihr Machtfundament untergrub.
Die Reformation durch Martin Luther brachte die Macht der Kirche in verschiedener Hinsicht zu Fall. Zum einen zweifelte Luther die alleinige Deutungshoheit der römischen Kirche über Fragen des Glaubens an. Das Priestertum aller Gläubigen, wie Luther es vertrat, beraubte die Kirche in Sachen Vermittlung zwischen Gott und Menschen einer Schlüsselfunktion und stellte die Lehrautorität der Kirche in geistlichen Dingen konsequent in Frage.
Von großer Bedeutung ist die Reaktion Luthers auf den von Papst Leo X. verhängten Kirchenbann. Der Reformator gab im Gegensatz zu Heinrich IV. nicht nach, sondern verbrannte das Bannschreiben des Papstes.
Eine willkommene Gelegenheit, den Einfluss Roms zu unterwandern
Neben Fragen des Glaubens und innerkirchlicher Verhältnisse schränkte die Reformation auch die Macht und den Einfluss der Kirche auf weltliche Dinge erheblich ein. Weltliche Fürsten und Könige sahen in den reformatorischen Entwicklungen eine Möglichkeit, ihre eigene Vormachtstellung auszubauen und sich dem Einfluss der Kirche zu entziehen. Ohne dieses Eigeninteresse der Fürsten wäre die Reformation wohl nie so erfolgreich gewesen.
So geschah es, dass sie Klöster enteigneten und Landbesitz der Kirchen einzogen. Von Land zu Land geschah dies unterschiedlich stark.
Dazu kamen noch andere Rahmenbedingungen. Entscheidend sind hier auch die Reichstage von Speyer und Augsburg, in denen die Reichsfürsten und Reichsstädte, die den Lehren Luthers folgten, dem von Papst Leo X. unterstützen Kaiser Karl V. ihre Gefolgschaft verweigerten.
Dabei war für manche Fürsten die Reformation nur ein willkommener Anlass, um sich vom Einfluss der Kirche in Rom zu lösen. Ihre religiösen Überzeugungen waren da oft zweitrangig.
Der endgültige Machtverlust durch Aufklärung und Revolution
Die römisch-katholische Kirche hatte in der Folge in vielen Teilen Europas immer noch großen Einfluss auf die weltlichen Herrscher und das Leben der Menschen. Spanien, Frankreich und Italien standen weiterhin geschlossen hinter Rom. Aber die Kirche hatte ihre unangefochtene Machtposition verloren.
Denn es gab nun zum einen eine ernstzunehmende Konkurrenz in puncto Auslegung der Bibel und zum anderen folgten Teile von Deutschland, die Niederlande und England den neuen evangelischen Lehren und standen damit gar nicht mehr unter dem Einfluss Roms.
Die Aufklärung und die revolutionären Bewegungen ab dem Ende des 18. Jahrhunderts verstärkten diesen Machtverlust noch weiter. Ausdruck hat die veränderte Machtrolle der Kirche in den Verfassungen von modernen Demokratien gefunden, die eine klare Trennung zwischen Kirche und Staat festgelegten. Beispielhaft sind hier die Vereinigten Staaten von Amerika oder Frankreich zu nennen.
Dennoch hatte die Kirche auch im 19.und frühen 20. Jahrhundert noch eine deutliche Machtposition. Menschen, die um ihr Seelenheil bangten, waren weiterhin bereit, kirchlichen Vorgaben und Anweisungen unkritisch zu folgen. Von Kanzeln herunter wurde zur Staatstreue und Nationalismus aufgerufen. Die Rolle der großen Kirchen im Nationalsozialismus führte zu einer späteren klaren Trennung und Abgrenzung zu staatlichen Institutionen.
Heute schwindet die Bedeutung der Kirche als Institution zunehmend. Von einer Machtposition kann schon lange keine Rede mehr sein. Dies gilt aber vor allem für Europa. In anderen Teilen der Welt sieht das durchaus noch einmal anders und sehr unterschiedlich aus. So wächst die Kirche besonders stark in Afrika südlich der Sahara, aber auch in Asien und Südamerika. Von dort gehen heute Missionsbewegungen aus, und zwar nach Europa.
Wie Macht von Christen ausgelebt werden sollte
Der Weg der Kirche in Bezug auf ihre Machtausübung durch die Jahrhunderte ist geprägt von viel Schuld und Leid, das im Namen der Kirche verursacht wurde. Zu oft wurden weltliche und zum Teil sehr persönliche, ja egoistische Interessen hinter der Fassade des Geistlichen verborgen. Doch da, wo Menschen eine Machtposition zukommt, stehen sie immer in der Gefahr, diese auszunutzen und zu missbrauchen, sei es auch für die vermeintlich richtige Sache.
Am Ende sollen zwei Sätze von Jesus stehen, nämlich: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Johannes 18,36), und seine Ermahnung an die Menschen, die ihm nachfolgen: „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener; und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht, so wie der Menschensohn nicht gekommen ist, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben als Lösegeld für viele” (Matthäus 20,25-28).
Wenn Christen und die verschiedenen Institutionen von christlichen Kirchen und Gemeinden sich immer wieder an diese Worte erinnern und an sie halten, kann ein Umgang mit Macht und Einfluss gelingen, der wirklich dem Wohl der Menschen dient.
Horst Kretschi
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Quelle: Die Kirche und die Macht