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Leben im Ausnahmezustand

erstellt am 13.02.2025 00:00:00

Burnout: So lautet Heiko Metzʹ Diagnose. Im Juli 2023 wird schnell klar: Arbeiten kann er erstmal nicht mehr. Über ein Jahr ist er krankgeschrieben. Neben dem Beruf gibt es einen zweiten entscheidenden Faktor für Heikos Burnout. Zu der vierköpfigen Familie gehört auch Heikos zweiter Sohn, der mit einem extrem seltenen Syndrom zur Welt kam.

Heiko Metz
Mehr über seinen Burnout und den Weg dort hinaus erzählt Heiko Metz im Interview „Hinter den Grenzen der Abgrund“. (Bild: ERF)

Immer wieder erlebt Heiko aufgrund der Behinderung seines zweiten Sohnes Krisen und Stresssituationen, die seinen Burnout zusätzlich begünstigen. Während er in seiner Krankheitszeit vom Beruf zurücktreten kann, kann und will Heiko sich natürlich nicht von seiner Familie abmelden.

Wie ist er in seiner Krankheitsphase mit dieser Belastung umgegangen? Welche Faktoren waren für seine Überforderung entscheidend? Und wie geht er heute mit der Behinderung seines Sohnes und deren Herausforderungen um?

Ein neues Leben

Als Heiko Metz 2017 zum zweiten Mal Vater wird, ahnt er nicht, wie sehr sich das Leben seiner Familie verändern wird. Die Schwangerschaft seiner Frau verläuft normal und so bleibt es bis zur Geburt. Erst bei der Entbindung wird klar, dass etwas nicht stimmt. Selbst die Ärzte wissen nicht, woran Heikos Sohn leidet. Klar ist nur: Er braucht medizinische Hilfe – sofort.

In den ersten Tagen nach der Geburt stehen Heiko und seine Frau unter Schock. Ihr Sohn wird in ein anderes Krankenhaus verlegt und bereits in den ersten Lebenstagen mehrfach operiert. Ein künstlicher Darmausgang ist nötig, später ein Herzschrittmacher.

Die medizinischen Herausforderungen treiben die Familie an ihre Grenzen. Die Frage, ob ihr Sohn überleben wird, schwebt wie ein Damoklesschwert über ihnen.

Von Anfang an muss ihr Sohn mehr aushalten als manche in ihrem ganzen Leben. Wochenlang liegt er umgeben von Schläuchen in einem Brutkasten. Die Eltern leiden darunter, ihn nicht auf den Arm nehmen zu dürfen. Auch Gespräche mit den Ärzten lassen Heiko ratlos zurück.

Ein extrem seltenes Syndrom

Dass Heikos Sohn am extrem seltenen Kabuki-Syndrom leidet, wird erst ein halbes Jahr nach der Geburt diagnostiziert. Weil es eine große Bandbreite an Symptomen gibt und diese bei jedem Menschen anders ausgeprägt sind, ist es extrem schwer, die Diagnose zu stellen. Das Syndrom ist relativ unbekannt und erst ein Gentest sorgt für Gewissheit.

Auf seinem Blog geht Heiko Metz ausführlich auf das Leben mit einem behinderten Kind und das seltene Syndrom ein.

Das Syndrom bringt eine Reihe von Fehlbildungen mit sich, darunter Augenfehlstellung, Bindegewebsschwäche und chronische Ohrinfektionen. Betroffen sind außerdem Herz, Niere und Verdauungstrakt. Menschen mit dem Kabuki-Syndrom weisen außerdem eine geistige Behinderung auf.

Rückblickend beschreibt Heiko Metz die Situation so:

Als wir die Diagnose bekamen, war das wie ein fremdes Wort in einem alten Buch. Kabuki-Syndrom. Klingt fast poetisch – aber was bedeutet das für unser Kind? Für uns als Familie?

Sie googeln die Krankheit, finden aber nur spärliche Informationen: ein paar medizinische Studien, eine Handvoll Berichte von anderen Eltern.

Eine kaum zu bewältigende Mammutaufgabe

Als Heikos Sohn nach mehreren Monaten aus dem Krankenhaus entlassen wird, folgen Anträge und Behördengänge. Diversen Pflegediensten das Haus zu öffnen und damit ihre Privatsphäre aufzugeben, fordert die Familie heraus. Auch ihren ältesten Sohn müssen sie auf die neue Situation vorbereiten und seinen Bedürfnissen gerecht werden.

Auf der Suche nach Lösungen und Antworten werden sie schließlich fündig: „Wir fanden eine Online-Eltern-Gruppe, eine kleine, aber starke Gemeinschaft von Eltern, die wussten, wovon sie reden. Die nicht nur Zahlen und Wahrscheinlichkeiten kannten, sondern das Leben mit Kabuki. Dort fanden wir mehr als Infos – wir fanden Verständnis. Das war am Anfang genauso wichtig wie Wissen.“

Die Kinderärzte beschreibt Heiko Metz als nett, aber oft ratlos. Stattdessen sind er und seine Frau herausgefordert, selbst zu Experten zu werden: „Wir mussten zu Detektivinnen und Detektiven werden, mussten lernen, die richtigen Fragen zu stellen.“

Sich um die gesundheitlichen „Baustellen“ seines zweiten Sohnes zu kümmern, ist für Heiko nicht nur körperlich belastend. Immer wieder müssen er und seine Frau folgeschwere Entscheidungen treffen und ein neues Normal finden. All dies gleicht einer Mammutaufgabe, die kaum zu bewältigen scheint.

Eine Krise jagt die nächste

In den ersten Jahren sind die Nieren von Heikos zweitem Sohn ein großer Sorgenfaktor. Es dauert lange, die Organe medikamentös einzustellen. In dieser Zeit kommt es zu einer Reihe von Notfällen und lebensbedrohlichen Situationen.

Diese ständigen Notfälle und Krankenhausaufenthalte rauben der Familie Kraft. Dazu kommt die Ungewissheit über die Zukunft. Heiko und seine Frau wissen, dass weitere Herausforderungen wie eine mögliche Dialyse auf sie zukommen werden.

Das Ehepaar findet sich in einem unaufhörlichen „Macher-Modus“ wieder. Sie funktionieren, ohne ihre Gefühle zu verarbeiten. Für einige Zeit klappt das gut. Doch nach und nach leert sich ihr Reservetank – die Kraft geht ihnen aus.

Nach Jahren des Durchhaltens merkt Heiko: Die zusätzliche Energie, die er sonst in Notfällen aktivieren konnte, ist nicht mehr da.

Die Mischung aus privatem Stress und beruflichem Druck wird überwältigend. Während Heiko früher emotionalen Herausforderungen ausweichen konnte, zwingt ihn die dauerhafte Überlastung jetzt in die Knie.

Der Weg in den Zusammenbruch

Anfangs macht sich sein Burnout durch körperliche Symptome bemerkbar: anhaltende Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit und extreme Lärmempfindlichkeit. Es stellt sich Antriebslosigkeit ein, die für den begeisterungsfähigen Heiko untypisch ist. Dinge, die er sonst nebenbei erledigt hat, fallen ihm nun unheimlich schwer.

Weil diese Anzeichen zwar lästig sind, sein Fokus aber weiterhin auf der Krisenbewältigung liegt, macht Heiko einfach weiter. So kommt es schließlich zum vollständigen Zusammenbruch. Wochenlang ist Heiko kaum zu mehr fähig als dem Weg zwischen Sofa, Küche und Bett. Er ist völlig ausgebrannt.

Als Heiko ausfällt, muss seine Frau übernehmen. Rückblickend wertet er es als ein Wunder, dass sie das überhaupt durchgehalten hat. Auch die Gemeinde und Heikos Schwiegereltern sind in dieser Zeit eine große Stütze für die Familie. Indem sie für sie kochen oder ihnen die Kinder für ein paar Stunden abnehmen, stehen sie Heiko und seiner Frau tatkräftig zur Seite.

Ein Rucksack voller Steine

Nach Wochen der Erschöpfung ist klar: Heiko braucht professionelle Unterstützung. Die findet er in einer Rehaklinik. Mit Heikos Ortswechsel steht seine Frau plötzlich alleine da – mit Job, Haushalt, Kindern und der besonderen Situation der Familie. Heiko beschreibt sie als Alltagsheldin, die funktionieren musste, obwohl sie selbst am Limit war.

Heiko tut es einerseits gut, endlich durchzuatmen, andererseits erlebt er sein schlechtes Gewissen seiner Familie gegenüber wie einen unsichtbaren Rucksack voller Steine. In der Reha fragt er sich oft: „Wie kann ich hier entspannt Kaffee trinken, während zu Hause das Chaos tobt?“

Erst nach einiger Zeit schafft Heiko es, diesen Rucksack abzulegen. Er versteht, dass seine Familie ihn nicht nur als Helfer, Problemlöser und unermüdlichen Versorger braucht, sondern als ganzen Menschen. Aber dieser Mensch liegt in Scherben.

Er beschreibt das so: „Ich musste mich erst wieder zusammensetzen, um überhaupt wieder da sein zu können. Mein Job war jetzt Heilung, nicht Funktionieren, nicht Retten.“

Irgendwann begreift er: „Selbstfürsorge ist kein Egoismus. Es ist Überlebenskunst.“

In der Reha findet Heiko zudem einen neuen emotionaleren Zugang zu Gott und kann sich bei ihm fallen lassen – auch mit den Sorgen um seinen Sohn. Er lernt, dass es Gott nicht auf das ankommt, was er zu geben hat. Diese Erkenntnis ist auch in Bezug auf seinen Sohn heilsam. Wenn es bei Gott nicht auf kognitive Leistungsfähigkeit ankommt, ist für ihn die geistige Behinderung seines Sohnes erst recht kein Problem.

Neue Perspektiven für die Zukunft

Als Heikos Zeit in der Reha zu Ende ist, ist das Nachhausekommen eine „Mischung aus heller Freude und Schock“. Er beschreibt dies so: „Ich war aus dem Hamsterrad ausgestiegen – und kam zurück in ein System, das weitergerannt war.“

Um die Gefahr eines Rückfalls zu minimieren und den Anforderungen seiner Familiensituation gerecht zu werden, passt Heiko seinen eigenen Leistungsanspruch an: „Die Erwartungen waren die gleichen: Die Aufgaben, die To-do-Listen, das Chaos. Aber ich war nicht mehr der Gleiche. Ich musste meiner Familie erst zeigen, wie es jetzt mit mir geht. Und mir selbst auch.“

Doch anders als früher spricht Heiko jetzt über seine Grenzen. „Früher habe ich versucht, alles selbst zu tragen. Heute sage ich: ‚Ich kann gerade nicht.‘ Und siehe da – die Welt dreht sich trotzdem weiter.“ Heiko hat gelernt Nein zu sagen und bleibt dabei:

Früher dachte ich, ein guter Vater, Ehemann, Mensch sagt immer Ja. Heute weiß ich: Nein ist auch ein liebevolles Wort.

Außerdem plant er regelmäßige „Ruheinseln“ ein. Diese Ruheinseln sind Zeiten, in denen er nichts leisten muss, sondern einfach sein darf. Anders als vor der Reha hält er nun inne, bevor es zu einem Zusammenbruch kommt: „Früher bin ich weitergelaufen, bis nichts mehr ging. Jetzt erkenne ich die Warnzeichen – und nehme sie ernst.“

Das Leben geht weiter

Auf diesem Weg erlebt Heiko auch Rückfälle: Immer wieder verfällt er in alte Muster. Aber er und seine Familie sind auf dem Weg. Sein Leben fühlt sich jetzt anders an: Nach echtem Leben, nicht mehr nur nach Überleben.

Auch wenn Heiko weiß, dass die Zukunft mit einem schwerbehinderten Kind herausfordernd bleiben wird und medizinische Notfälle langfristig zu ihrem Alltag gehören werden, fühlt er sich nun besser dafür gewappnet.

Er und seine Familie haben in ihrem chaotischen Alltag ihr eigenes Tempo gefunden. Sie rennen nicht mehr dem Anspruch hinterher, in irgendeine Norm zu passen, sondern haben gelernt, in ihrer speziellen Familiensituation Schönes und Freiheit zu finden. „Wir machen das Beste draus und feiern zusammen das Gute“, sagt Heiko in der ERF Plus Sendung Das Gespräch mit Ingrid Heinzelmaier.
 

Maria Dietz


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Quelle: Leben im Ausnahmezustand

von youthweb

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