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Wenn Demenz die Kommunikation verändert

erstellt am 07.02.2025 00:00:00

Meine Schwiegermutter war früher eine sehr pragmatische Frau – auch in Erziehungsfragen. Sie wusste genau, was bei mir falsch lief, und ließ mich das gerne wissen. Das wurde besonders deutlich, als bei ihr die Demenz einsetzte: Fragen wiederholten sich immer öfter, und ihre Kommentare hatten es in sich.

Zum Beispiel, als es um das Trockenwerden unserer damals einjährigen Tochter ging. „Geht sie denn schon aufs Töpfchen?“, wollte sie wissen. Anfangs antwortete ich noch geduldig: „Nein, unsere Tochter ist gerade ein Jahr alt. Das machen wir, wenn sie älter ist.“

Die Reaktion war immer dieselbe: „Also, meine Kinder waren in dem Alter schon trocken. Aber das ist natürlich unbequem. Ihr jungen Leute habt halt andere Erziehungsmethoden.“ Kaum war das Gespräch beendet, begann es von vorne: „Geht sie denn schon aufs Töpfchen?“

Frust und Überforderung

Diese Diskussion brachte mich regelmäßig an den Rand meiner Geduld.

Ich wusste, dass meine Schwiegermutter es nicht böse meinte, aber ich fragte mich: Was davon ist ihre Persönlichkeit – und wie viel macht die Demenz?

Natürlich weiß ich, dass Menschen mit Demenz zunehmend ihr Leben vergessen. Zuerst ist das Kurzzeitgedächtnis betroffen, später auch das Langzeitgedächtnis. So verschwinden nach und nach die Erinnerungen in umgekehrter Reihenfolge, als ob man immer mehr von einer Filmrolle abschneiden würde.

Während meine Schwiegermutter noch lebendig von ihrer Kindheit und ihren Fluchterfahrungen berichten konnte, waren eben geführte Gespräche sofort wieder vergessen.

Trotzdem spürte ich oft eine innere Aggression – eine Mischung aus Frust, Hilflosigkeit und Überforderung. Besonders, wenn dieselben Vorwürfe oder Fragen im Minutentakt kamen, fiel es mir schwer, ruhig zu bleiben.

Gefühle eingestehen

Oft hatte ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich aggressive Gedanken hatte. Ich musste lernen, dass es besser ist, sich seine Gefühle einzugestehen, statt sie zu verdrängen. Nur so konnte ich einen konstruktiven Umgang mit der Situation finden – was nicht hieß, dass ich nun die Geduld in Person war.

Das Gute war: Meine Schwiegermutter vergaß auch meine gelegentliche Ungeduld schnell. So hatte ich jedes Mal die Chance, es besser zu machen – wie in „Und täglich grüßt das Murmeltier“.

Eine biblische Perspektive

Es gibt eine Bibelstelle, die ich sehr passend für den Umgang mit Demenzkranken finde: „Kleidet euch in herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld“ (Kolosser 3,12).

Geduldig und freundlich zu bleiben, wenn die Nerven blank liegen, ist eine echte Herausforderung.

Doch genau daran möchte ich arbeiten: Mich immer wieder an Gottes Liebe zu erinnern und daran, wie viel Geduld er auch mit mir hat.

Ein Vorbild ist für mich Jesus. Er hatte einen Blick für Menschen, die als schwierig galten, zum Beispiel Zachäus (Lukas 19,1-10) oder die Frau am Jakobsbrunnen (Johannes 4,6-15). Jesus nahm sich nicht nur Zeit für sie, sondern begegnete ihnen ganz individuell auf Augenhöhe, so, wie es die jeweilige Person brauchte. Diese Haltung ist mir ein Vorbild.

Mit anderen über die Situation sprechen

Für mich war es außerdem sehr hilfreich, mit anderen zu sprechen, unter anderem mit meiner Schwägerin. Ihre Kinder sind schon älter. Auch sie wurde kritisch beäugt, aber dieselbe Frage kam nicht x-mal. Sie hat mir den Rat gegeben: „Da rein, da raus.“

Zudem konnte sie mir bestätigen, dass mein Mann mit einem Jahr weder selbstständig war noch seinen Eltern das Frühstück ans Bett brachte.

Manchmal warf meine Schwiegermutter uns vor, wir würden Dinge erfinden oder uns falsch erinnern. Wenn wir gemeinsam vor Ort waren, half schon ein kurzer Augenkontakt zwischen meiner Schwägerin und mir, um die Situation gelassener zu nehmen.

Wenn ich in einem herausfordernden Moment allein war, half es, mir bewusst eine Pause zu gönnen: Sei es, dass ich tief Luft holte oder den Raum verließ. So fiel es mir leichter, mich zu sammeln und die aufkommende Aggression zu regulieren.

Kommunikation anpassen

Eine der wichtigsten Lektionen für mich war, die Kommunikation zu vereinfachen. Anfangs versuchte ich noch, meine Position in langen Erklärungen zu vermitteln. Doch das brachte nichts.

Experten raten, sich auf solche Diskussionen nicht einzulassen und den Sack in kurzen, klaren Worten zuzubinden. Auf die Töpfchenfrage sagte ich daher nur noch „Wir fangen bald damit an“ und lenkte das Gespräch auf ein anderes Thema.

Auch Korrekturen oder Schuldzuweisungen, weil meine Schwiegermutter sich an etwas nicht erinnerte, waren wenig hilfreich. Entweder leugnete sie, dass bestimmte Gespräche stattgefunden hatten, oder sie war bestürzt über ihr nachlassendes Gedächtnis.

Das führte zu Ärger und Frust bei allen Beteiligten. Als meine Schwiegermutter sich nicht an eine Vase erinnern konnte, die eigentlich im Schrank hätte sein sollen, nahmen wir ein anderes Gefäß und ließen es dabei bewenden.

Positive Erinnerungen suchen

Solange noch Erinnerungen an das eigene Leben vorhanden sind, sprechen die meisten Menschen gerne darüber. Ich überlegte, was für meine Schwiegermutter wichtig gewesen ist: Ihre Skiurlaube, als die Kinder noch klein waren, oder die Wandertouren mit ihrer Wandergruppe.

Auch fragte ich sie, wie sie als Familie früher Weihnachten gefeiert hatten. Bis vor einiger Zeit konnte sie auf diese Fragen noch antworten und ich erfuhr mehr über die Herkunftsfamilie meines Mannes.

Mittlerweile fällt ihr dazu nichts mehr ein. Doch es gibt immer noch Dinge, die sie tun kann. So strickte meine Schwiegermutter vor einiger Zeit einen Teddybären, weil sie die Handbewegung ganz automatisch abrufen konnte.

Auch fest verankerte Gebete wie das Vaterunser konnten sie und mein Schwiegervater lange Zeit noch mitbeten. Das schaffte einen vertrauten, innigen Moment. 

Sicherheit vermitteln

Je stärker die Demenz voranschreitet, desto schwieriger wird es, sich noch mit meiner Schwiegermutter zu unterhalten. Nun versuchen wir vor allem, ihr Sicherheit zu vermitteln, wenn sie nicht weiß, wo sie ist oder was gerade Sache ist: „Es ist alles in Ordnung“, „Wir kümmern uns“, „Du kannst dich entspannt zurücklehnen“ – solche Sätze helfen ihr, wenn sie unruhig ist. Mein Mann massiert ihr auch gerne die Schultern, was sie sehr genießt.

Momente, die bleiben

Seit der Töpfchendiskussion sind sechs Jahre vergangen – und ja, meine Tochter ist mittlerweile trocken. Doch das hat meine Schwiegermutter nicht mehr bewusst mitbekommen. Sie lebt seit zwei Jahren in einem Pflegeheim und ich habe den Eindruck, dass sie mich gar nicht mehr zuordnen kann.

Was zählt, sind die kleinen Momente der Nähe, die wir noch teilen können.

Ein Lächeln, ein freundliches Wort oder eine kurze Umarmung – das genügt manchmal, um den Augenblick mit Sinn zu füllen.

 

Theresa Folger


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Quelle: Wenn Demenz die Kommunikation verändert

von youthweb

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