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Altenpflege neu gedacht

erstellt am 10.04.2024 00:00:00

Hanne Häuser wächst behütet in einem christlichen Elternhaus auf. Am Stadtrand von Bergneustadt in Nordrheinwestfalen ist sie umgeben von Feld, Wald und Wiesen und vielen Kindern. Schon damals liebt sie es, intensiv Zeit mit Menschen zu verbringen. Besonders um Menschen mit Behinderung und alte Menschen kümmert sie sich gerne.  

Als Hanne sich für einen Beruf entscheiden muss, rät die Mutter ihr zu einem Job in der Altenpflege, denn sie empfindet Hanne als zu „hibbelig“ für die Arbeit mit behinderten Menschen. In der Altenpflege, so die Meinung der Mutter, sei sie besser aufgehoben. 

Traumberuf Altenpflege 

1976 beginnt die damals 18-Jährige in Solingen die Ausbildung zur Altenpflegerin. Hanne nimmt am zweiten Kurs teil, den es überhaupt gibt. Denn die Altenpflegeausbildung ist damals noch sehr neu.

In der ambulanten Pflege fühlt sie sich besonders wohl. Hier kann sie Menschen in ihrem gewohnten Umfeld besuchen und intensiv kennenlernen, so wie es ihr schon immer am liebsten war.

Als ihr eine Stelle als Gemeindeschwester angeboten wird, wagt sie den Schritt aus ihrer Heimat nach Gladenbach in Hessen. Auch wenn die Mentalität dort eine andere ist, fühlt sich Hanne mit ihrer aufgeweckten und enthusiastischen Art schnell wohl. Die neue Stelle fordert sie heraus und mit den Kollegen kommt sie sehr gut zurecht.  

Sieben Jahre lang pflegt Hanne gemeinsam mit ihren Kollegen alte Menschen in insgesamt 14 Orten rund um Gladenbach. Bei den täglichen Hausbesuchen lernt sie auch die Familien ihrer Patienten kennen. So trifft Hanne ihren heutigen Mann. Er ist der Enkel einer Frau, die sie betreut.  

Ein Jahr nach dem Kennenlernen heiraten die beiden. Als das erste Kind kommt, beendet Hanne ihre Arbeit in der Altenpflege vorerst. Es folgen zwei weitere Kinder. Hanne ist acht Jahre Vollzeitmutter und geht in dieser Rolle voll auf. 

Bürokratie auf Kosten der Zeit mit den Menschen 

Als Hannes Kinder älter sind und sie zuhause weniger gebraucht wird, wächst der Wunsch, wieder in ihrem Beruf zu arbeiten. Sie wagt den Wiedereinstieg mit einem Minijob in der ambulanten Altenpflege. Obwohl diese Arbeit nach wie vor die richtige Aufgabe für Hanne ist, muss sie feststellen, dass sich in den acht Jahren viel verändert hat – und zwar auch zum Negativen.  

In den 80ern und Mitte der 90er-Jahre hatte der Job noch wenige bürokratische Elemente. Bei Hannes Wiedereinstieg in den 2000er-Jahren gehört das Schreiben detaillierter Protokolle zum neuen Arbeitsalltag. Es gibt striktere Vorgehensweisen und viel mehr Büroarbeiten.  

Diese Neuerungen stellen zwar feste Pflegestandards sicher, kosten aber wertvolle Zeit, die in der individuellen Fürsorge der Menschen fehlt. Für Hanne wird die Arbeit dadurch unnötig erschwert und verkompliziert. Am Beruf der Altenpflege schätzt sie besonders die Zeit, die sie mit den Menschen verbringt und führt gerne intensive Gespräche.  

Auch die zusätzliche Stelle in einer Wohngruppe für Demenzpatienten bringt nur wenig Verbesserung. Obwohl ihr die Arbeit in der Einrichtung Freude macht, kann Hanne sie nicht so ausführen, wie sie es sich wünscht.  

Erschwerend kommt hinzu, dass die Arbeitsbelastung so groß ist, dass Hanne für ihre eigene Familie und ihre Dienste in der Gemeinde immer weniger Zeit findet. Den Beruf der Altenpflege aufzugeben ist für sie keine Option. Gleichzeitig kann sie sich nicht vorstellen, ihn unter diesen neuen Umständen weiter auszuführen.  

Die optimale Lösung: Verhinderungspflege anbieten 

Aus der Erkenntnis „So kann es nicht weitergehen.“ entwickelt sich eine Idee, die für Hanne, aber auch die Branche neu ist. Sie möchte alte und pflegebedürftige Menschen bei sich zuhause pflegen. So könnte sie sich intensiver um jeden ihrer Patienten kümmern, ohne ihre anderen Verpflichtungen dabei zu vernachlässigen. 

Als sie sich mit dieser Idee an ihren damaligen Chef wendet, hat dieser die entscheidende Lösung. Er rät ihr die Pflege bei sich zuhause im Rahmen der sogenannten „Verhinderungspflege“ anzubieten. Dieses Modell ermöglicht es pflegenden Angehörigen, sich eine Auszeit zu gönnen und eine sogenannte Verhinderungspflege oder auch Ersatzpflege für diese Zeit in Anspruch zu nehmen.  

Hanne ist Feuer und Flamme. Schnell wird klar, dass sie ihre Idee mit der Verhinderungspflege ohne große bürokratische Hürden in die Tat umsetzen könnte.

Diese Art der Pflege ist für sie die optimale Lösung, weil sie die Menschen so nach ihrem eigenen Zeitmanagement, Anspruch und Bedingungen pflegen kann. 

Weil diese Leistung von der Krankenkasse übernommen wird, ist auch die finanzielle Frage schnell geklärt. Rechtlich und finanziell gibt es also keine Stolpersteine. Jetzt muss sie nur noch ihren beruflichen Raum gut in den privaten einbetten.  

Ein Jahr des Wartens  

Mit ihrem gewohnten Enthusiasmus stellt sie ihrer Familie das neue Berufsmodell vor. Doch die teilen ihre Begeisterung nicht. Fremde und immer wieder andere Menschen sollen bei ihnen im privaten Raum leben? Hannes Ehemann und die Kinder können sich das nicht vorstellen. 

Auch wenn Hanne die Bedenken ihrer Lieben nachvollziehen kann, ist diese Reaktion für sie ernüchternd. Ohne deren Zustimmung kann und will sie ihre Idee, alte Menschen bei sich zuhause zu pflegen, nicht umsetzten und muss sich weiter mit den Gegebenheiten in der konventionellen Alterspflege abfinden.  

Es folgt ein Jahr, in dem die Idee weiter in Hannes Herzen reift. Der Gedanke, Menschen bei sich zuhause zu pflegen, lässt ihr keine Ruhe. Sie weiß, die Umsetzung dieser Idee wäre nicht aufwändig. Obwohl Hanne keine Vorwärtsschritte macht, verschwindet der Wunsch nie, er wird nur stärker. 

Irgendwann kann Hanne sich nicht mehr vorstellen weiter in der traditionellen Altenpflege zu arbeiten. Sie wünscht sich mehr als alles andere ihre ursprüngliche Idee von der Altenpflege in ihrem privaten Raum umzusetzen. Deshalb nimmt sie allen Mut und Überzeugungskraft zusammen und bittet ihre Familie ihre Entscheidung zu überdenken. 

Der Traum wird Wirklichkeit 

Auch wenn Hannes Mann und die beiden Kinder, die noch im Elternhaus leben, immer noch nicht begeistert von der Idee sind, stimmen sie zu. Das ist der Startschuss für die Arbeit, die sich Hanne so sehr wünscht. Hanne muss bei sich daheim keine großen Umbauten vornehmen. Das Zimmer ihres ältesten Kindes steht seit einer Weile leer. Es braucht nur wenige Handgriffe, um ein geeignetes Gästezimmer daraus zu machen.  

Bald ist alles bereit für den ersten Gast. Dieser erste Durchlauf hätte nicht besser laufen können. Hannes erster Gast ist sehr ruhig und umgänglich. Die Erfahrung zeigt ihr: „Das ist es! Das ist genau das, was ich mir vorgestellt habe.“  

Auch Hannes Ehemann ist positiv überrascht. Das Zusammenleben mit dem Gast läuft fast automatisch und stört den Familienalltag nicht. Hanne hat bei diesem Arbeitsmodell sogar noch Zeit ihrer Leidenschaft, dem Schreiben, nachzugehen, während sie für ihren Gast da ist.  

Ihr Angebot der Verhinderungspflege wird gerne in Anspruch genommen und Hanne macht durchweg gute Erfahrungen mit ihren Gästen. Ganz unkompliziert findet die Pflege und das Zusammenleben mit den alten Menschen parallel zum Familienalltag statt.  

Hin und wieder stellt Hanne ihr Konzept in Ambulanten Pflegestellen und bei Ärzten vor. Es spricht sich schnell herum, dass Hanne für eine festgelegte Zeit alte Menschen bei sich aufnimmt und pflegt. Auch ihre ehemaligen Kollegen empfehlen sie und leiten Anfragen an sie weiter. 

Eine Pflege, bei der die Pflegegäste aufblühen 

So wird Hannes Vision dieser besonderen Form der Pflege Wirklichkeit. Wie schon in den 80ern und 90ern lebt sie nun wieder zu 100 Prozent ihren Traumberuf. Nach und nach baut sich eine Stammkundschaft auf, sodass sie immer wiederkehrende „Besucher“ bei sich auf Zeit aufnimmt. 

Weil sie jetzt genügend Zeit hat, sich neben der Pflege auch um die persönlichen Belange und Sorgen ihrer Gäste zu kümmern, erkennt sie, was ihnen am Herzen liegt und weiterhilft.

Wenn Hanne am Klavier spielt und gemeinsam mit ihren Gästen singt oder diese sogar mit einem eigenen Instrument mit ihr musizieren, merkt sie: „Das spricht die Menschen an und sie blühen richtig auf.“ 

Auch für das Leben der Menschen und die Geschichten, die sie daraus zu erzählen haben, begeistert sich Hanne sehr. Ihr aufmerksames Zuhören und die Rückfragen genießen die Gäste und auch Hanne hat Freude daran, in deren Vergangenheit Einblick zu bekommen. 

Ein besonderer Abschied 

Im Jahr 2022 melden sich die Angehörigen einer alten Dame erneut bei Hanne, um ihr die gerade 100 gewordene Angehörige ihr anzuvertrauen. Die Dame Lore* war schon öfter bei Hanne. Sie verstehen sich gut und teilen dazu noch eine wichtige Leidenschaft – den Glauben.  

Während Lore nun wieder bei Hanne zu Gast ist, baut sie stark ab. Auch wenn sie bislang für eine Hundertjährige noch recht fit war, merkt man nun, dass sich ihr Leben dem Ende neigt. Lore hat für diesen Fall vorgesorgt und sich in einem Altenheim angemeldet, um ihren Kindern nicht zur Last zu fallen. Als Hanne das erfährt, wünscht sie sich, dass Lore intensiver als im Altenheim betreut wird und vielleicht sogar bei ihr bleiben kann.  

Lore blüht wieder etwas auf und die beiden verbringen schöne Tage miteinander, die Hanne im Nachhinein als „besonderes Erlebnis“ beschreibt. Sie singen gemeinsam und Hanne erzählt Lore von ihrem Traum der Schriftstellerei. 

Dennoch wird Lore von Tag zu Tag schwächer. Sie sehnt sich danach, bei ihrem Herrn und Gott zu sein. Das sagt sie Hanne manchmal unter Tränen und fragt, warum Gott so lange brauche, sie zu holen. Weil Lore immer schwächer wird, packt Hanne sie in warme Decken. Eines Tages schläft Lore bei ihr ruhig und friedlich ein.

Auch wenn Lores Tod Hanne sehr traurig stimmt, ist dieses Erlebnis für sie der Beweis, dass Gott auch nach einem so langen Leben noch treu ist.

Lore wurde von Gott durch schwere Zeiten getragen und bis zum Tod begleitet. An dieser Frau, ihrem Glauben, ihrer Güte und Sanftheit erkennt Hanne Gottes Größe.

Lebensgeschichten als Geschenk an die nachfolgenden Generationen

Lore ist eine der letzten Gäste, die Hanne betreut. Denn mittlerweile ist auch sie älter geworden. Zudem ist in der Zeit mit ihren Gästen ein neuer Wunsch in ihr herangereift: Von den Erfahrungen erzählen, die sie gemacht hat. Hanne hat mit ihren Gästen Höhen und Tiefen durchlebt und so Wertvolles gelernt. Diese Erfahrungen möchte sie weitergeben – mit ihrer zweiten großen Leidenschaft, der Schriftstellerei.

In ihrer Arbeit als Altenpflegerin hat Hanne den Wert von Menschen erkannt, die leicht an den Rand unserer Gesellschaft rutschen. Sie ist aus den Konventionen ausgebrochen, um getreu ihren Werten weiter ihren Traumberuf auszuüben. Dadurch hat sie ihren Gästen und Angehörigen einen besonderen Dienst erwiesen.

Auch nach ihrer Zeit als Altenpflegerin gibt sie diesen alten Menschen weiter eine Stimme, indem sie ihre Geschichten erzählt. In ihrem Buch „Die Lebensweisen“ berichtet Hanne von den besonderen Erlebnissen, die sie in den 16 Jahren der privaten Altenpflege mit ihren Gästen gemacht hat.

Ihr Buch gibt Einblick in Hannes Alltag, aber vor allem in das Leben von Menschen, die schon ein ganzes Leben hinter sich haben. Dieses Leben hat Hannes Gäste geprägt, ihre Geschichten geschrieben und ihre Weltanschauungen und Lebensweisen geformt.

Weil Hanne sich Zeit nehmen konnte zuzuhören, gemeinsam zu musizieren oder zu schweigen, haben ihre Gästen sie mit Geschichten beschenkt, die nachhaltig bewegen. Als Autorin beschenkt sie nun andere mit diesen Geschichten und zeigt, dass es sich lohnt, sich Zeit für alte Menschen zu nehmen und ihnen zuzuhören.

 

*Name geändert

 

Maria Dietz


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Quelle: Altenpflege neu gedacht

von youthweb

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