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Warum Burnout nicht vom Job kommt

erstellt am 25.03.2023 00:00:00

 

Helen Heinemann (Foto: Brigitte Dorrinck / www.dorrinck.de)
Helen Heinemann (Foto: Brigitte Dorrinck / www.dorrinck.de)

Burnout gilt in unserer Gesellschaft als großes Problem. Doch über die Ursachen dieses Volksleidens herrscht Uneinigkeit. Helen Heinemann, Leiterin des „Instituts für Burnout-Prävention“ in Hamburg, hat rund tausend burnout-gefährdete Menschen in individuellen Intensivseminaren begleitet, viele andere direkt vor Ort in Betrieben.

Ihre Erkenntnisse schildert sie in ihrem Buch: „Warum Burnout nicht vom Job kommt. Die wahren Ursachen für die Volkskrankheit Nr.1“. Im Interview mit dem ERF erklärt sie, warum ihrer Ansicht nach heute so viele Menschen ausbrennen.


ERF: Frau Heinemann, was zeichnet burnout-gefährdete Menschen aus?

Helen Heinemann: Sie sind sehr intelligent und sehr empfindsam, sehr feine Menschen mit sehr hohen Werten. Sie sind hochgradig identifiziert mit ihrer Arbeit, auch im Privatleben in verschiedenen Bereichen engagiert, überall, wo sie hinkommen, packen sie mit an, engagieren sich, setzen sich mit ein.


ERF: Das deutet daraufhin: Diese Leute arbeiten einfach zu viel. Vielleicht haben sie deswegen einen Burnout?

Helen Heinemann: Nein, das glaube ich nicht. Das, was sie machen, macht Ihnen ja an allen Stellen Freude. Nicht das, was sie tun, führt zu einem Burnout, sondern dass sie dabei oft zu wenig wahrnehmen, wie es ihnen selber geht. Als sehr häufiges Problem wird genannt: „Ich kann nicht nein sagen“. Und da diese Leute sehr viel bei der Arbeit sind und ihre Arbeit sehr engagiert machen, da hat man diesen Rückschluss gemacht: „Der Job ist schuld da dran.“

Während ich mit diesen Menschen arbeitete, stellte ich mir immer wieder die grundsätzliche Frage: Warum sagen diese intelligenten und liebenswerten Menschen nicht einfach „nein“?


ERF: Warum hilft es nicht, wenn man diesen Menschen einfach rät: Mach mal Pause, sag mal „nein“?

Helen Heinemann: Diese Menschen finden Pausen langweilig. Wenn sie zuhause sitzen, dann sehen sie, dass noch Fenster geputzt werden sollen oder es fallen ihnen lauter Dinge ein, die man ja noch angehen könnte.

Ein anderer Grund, nicht „nein“ sagen zu können, liegt darin, dass sie Angst haben, dass sie die anderen nicht mehr mögen, dass sie ausgegrenzt werden. Sie müssen ihre Rolle in der Gesellschaft ständig neu erarbeiten. Diese Menschen sind sehr verführt, über Leistung ihr „Ich“ zu definieren, also kurzgefasst: „Ich leiste, also bin ich.“
 

ERF: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Burnout besonders in Gesellschaften auftritt, in denen die Geschlechterrollen in Bewegung geraten sind. Zum Beispiel um die Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert.

Helen Heinemann: Das nannte man Neurasthenie, das war eine Nervenschwäche. Damit kann man auch jetzt noch Burnout bei der Krankenkasse abrechnen. Wenn man das Diagnosebild von Neurasthenie anguckt, dann sieht man, das ist genau das Gleiche wie bei Burnout. Die Neurasthenie ist überwiegend bei Frauen aufgetreten.

Das Interessante ist: Um die Jahrhundertwende gab es diese Erweiterung der Frauenrolle, diese Erweiterung der Möglichkeiten. Es trat eine Unsicherheit auf, was das alte Rollenbild anbelangt, dass man sich nicht mehr sicher fühlte: Wer bin ich eigentlich? Diese Frauen brauchten emotionale Energie, um sich selbst neu zu definieren. Das hat dann zur Erschöpfung geführt, während Burnout heute beide Geschlechter betrifft.


ERF: Warum sind die Frauen heute so erschöpft?

Helen Heinemann: Frauen sagen: Der Tag müsste mehr als 48 Stunden haben. Für sie ist die Doppelbelastung anstrengend und die Enttäuschung darüber, von ihren Männern nicht genug Unterstützung zu bekommen. Die haben nur geholfen, nicht Verantwortung übernommen. Das ist etwas anderes. Deshalb gibt es die Enttäuschung der Frauen: „Ich hätte gerne einen Partner auf Augenhöhe. Aber so, wie das jetzt hier läuft, finde ich das zu frustrierend, dann mache ich das lieber alleine.“ Die meisten Scheidungen werden ja von Frauen eingereicht.
 

ERF: Und was ist mit den Männern ?

Helen Heinemann: Die Männer merken plötzlich: Ihnen laufen die Frauen davon. Nicht nur privat, sondern auch im Beruf. Das stresst erst einmal. Aber es gibt noch einen weiteren Faktor, der für Männer extrem belastend ist: Wenn die Frauen wütend, müde oder enttäuscht sind, dann gehen sie zu einer anderen Frau und reden mit ihr.

Aber wenn ein Mann traurig, wütend oder enttäuscht ist, dann geht er nicht zu einem Kumpel, sondern er geht damit ebenfalls zu einer Frau. Jetzt ziehen die Frauen sich aber zurück, weil sie so belastet sind. Die Männer haben keinen Ort mehr, wo sie emotional auftanken können.
 

ERF: Wie sieht die Lösung dafür aus? Sollen wir wieder zurück in alte Rollenbilder: Frauen an den Herd, Mann in den Beruf?

Helen Heinemann: Um Gottes Willen, nein, wie langweilig (lacht). Nein, es ist doch großartig, bei welcher gesellschaftlichen Entwicklung wir dabei sein dürfen. Wenn etwas Neues geboren wird, dann ist das schmerzhaft, das ist anstrengend. Und wir sind in dieser Übergangsphase, da muss man aber durch, um ins Neue zu kommen.

Das Neue, das Reizvolle, wäre eine Gesellschaft mit vielen unterschiedlichen Lebensformen, die alle gleichermaßen gelten und die Welt unglaublich bereichern. Also die Befreiung von Rollenklischees, die Entfaltung von einer befruchtenden Individualität.
 

ERF: Demgegenüber würden Kritiker sagen: Früher war alles besser. Da war die Frau zuhause, der Mann ging zur Arbeit, da gab es diese Probleme nicht in den fünfziger Jahren. Das Neue, das ist nicht reizvoll.

Helen Heinemann: Das ist ja so leicht gesagt, aber es soll erst einmal bewiesen werden, dass früher wirklich alles besser war. Also, wenn ich an meine Herkunftsfamilie denke, dann weiß ich, wie stark mein Vater gestresst war als der Hauptverdiener, der die Familie mit drei Kindern durchbringen musste und dem das nicht leichtfiel. Und meine Mutter, die den gestressten Mann ertragen musste, die aber auch drei Kinder unter schwierigen Bedingungen durchbringen musste.

Mit Alkohol haben sich die Menschen häufig bei der Stange gehalten, damit sie einigermaßen die Nerven bewahrten. Die hatten dann Depressionen oder depressive Verstimmungen. Außerdem gingen viele Frauen zur Kur, um sich zu erholen.
 

ERF: Was kann man heute Frauen und Männern empfehlen, die in ihrer Rolle verunsichert sind, aber nicht in die alte Zeit zurückwollen – was kann jetzt im Alltag helfen, die Probleme zu bewältigen?

Helen Heinemann: Ich finde es am besten, sich miteinander zu verständigen, dass man ein „Rollenspiel“ macht und sich für eine bestimmte Zeit einigt: Ich bin jetzt mal „die Mutter“, ich bin zuhause bei dem Kind, und du bist jetzt „der Vater“ und verdienst das Geld. Und nach einiger Zeit, wenn z.B. das Kind im Kindergarten ist, dann definiert man die Rollenverteilung neu.

Man sollte also nicht immer wieder jeden Tag neu aushandeln und fragen müssen: Wer macht was, wer bringt, wer tut? Das ist unglaublich anstrengend. So ist man dann im Alltag davon freigesetzt. Man weiß, wer für das nächste Jahr oder für die nächsten zwei, drei Jahre zuständig für die Bewältigung des Haushalts und das Geldverdienen ist. Nach einiger Zeit werden die Karten neu gemischt und das Spiel geht neu los.
 

ERF: Herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Susanne Reddig


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Quelle: Warum Burnout nicht vom Job kommt

von youthweb

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