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Gemütlich schlenderte ich mit meiner Freundin durch die Altstadt von Aix-en-Provence, einer Stadt in Südfrankreich. Das gemütliche Flair der Stadt wurde unterstrichen von den Markständen, die an diesem Tag in den kleinen Gassen aufgestellt waren. Ein buntes Sammelsurium von Angeboten tat sich uns auf: Hier Trikots von Olympique Marseille, vermutlich gefälscht, dort die saftigsten und leckersten Früchte. Besonders die Erdbeeren hatten es uns angetan.
Dem knallroten Obst konnten wir einfach nicht widerstehen und so kauften wir uns zusammen eine 750g-Tüte. Wären wir nur früher auf diese Idee gekommen – denn schon kurze Zeit später hieß es: Keine Zeit mehr und zurück zum Bus. Die angebrochene Tüte wollten wir nicht wieder mit zurücknehmen, uns die restlichen Erdbeeren aber auch nicht mehr in den ohnehin schon vollen Magen stopfen.
Mit den Augen eines Obdachlosen
In unserem Dilemma fiel unser Blick auf einen Obdachlosen, der hinter einem Marktstand saß. Schnell fassten wir den Entschluss, ihm die Tüte mit den Erdbeeren zu überlassen. Seine Reaktion darauf habe ich nie vergessen und sie berührt noch heute mein Herz.
Mit Tränen der Freude in den Augen, einem Lächeln und kraftlosen Verbeugungen überschüttete er uns mit französischen Danksagungen. Er nahm meine Hand und wiederholte unablässig: „Très gentile, très gentile“ (sehr freundlich, sehr freundlich).
Ich war überwältigt von so viel Dankbarkeit für eine Geste, die mich nichts gekostet hat. Schließlich kam es uns sehr gelegen, dass er dort saß: So mussten wir die guten Erdbeeren nicht in den Müll werfen.
Was darf Nächstenliebe kosten?
Diese Begebenheit ist nun schon 15 Jahre her und dennoch erinnere ich mich sehr lebhaft an die Reaktion des Obdachlosen. Könnte man da nicht meinen, dass ich heute ein Herz für Obdachlose und immer wieder einen Euro für sie übrig haben müsste? Nein, leider ist das nicht der Fall.
Ich wohne in der Altstadt – dort, wo sich Touristen und somit auch Bedürftige tummeln. Mindestens einmal täglich begegne ich also einem Menschen, dem ich eine Freude machen könnte. Anstatt dass ich diese Chance nutze, laufe ich mit verschlossenem Blick an ihnen vorüber und eile zu meinem nächsten Termin.
Dabei würde es mich – wie damals in Frankreich – doch kaum etwas kosten, oder nicht? Einfach mal kurz stehenbleiben, hinschauen, mitfühlen, hinhören und vielleicht auch geben, ohne gefragt zu werden. Es kostet mich lediglich Überwindung und etwas Zeit. Aber was würde es diesem Menschen bedeuten? Vielleicht viel mehr, als ich mir vorstellen kann.
Kleine Opfer – große Wirkung
Die abschließenden Ausführungen im Hebräerbrief bestätigen mir diesen Gedanken. In dem Abschnitt darüber, wie Christen leben sollen, heißt es: „Vergesst nicht, Gutes zu tun und mit anderen zu teilen; denn an solchen Opfern hat Gott Gefallen.“ (Hebräer 13,16)
Mit einer kleinen Geste, die kaum etwas kostet, kann ich also nicht nur einem Obdachlosen, einem Kollegen oder einem Nachbarn einen Gefallen tun. Nein, sogar Gott selbst freut sich darüber, wenn wir anderen etwas Gutes tun.
Es ist oft nur ein kleines Opfer, das notwendig ist. Ob ich meiner alleinstehenden Nachbarin eine Einkaufstüte abnehme und sie ihr bis vor die Haustür trage, beim Obstladen nebenan eine Schale Himbeeren kaufe und meinem Himbeer-verrückten Patenkind mitbringe oder einem Kollegen, der gerade viel zu tun hat, einen Kaffee zubereite …
Ich möchte nicht vergessen, wie einfach Nächstenliebe ist – und dass ich damit nicht nur andere und Gott beschenke, sondern vielleicht auch mich selbst: Mit einer bleibenden Erinnerung daran, dass ich jemandem den Tag versüßt habe.
Bettina Schwehn
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Quelle: 750 Gramm Nächstenliebe